Bilanzsteuerrechtliche Beurteilung von Aufwendungen zur Einführung eines betriebswirtschaftlichen Softwaresystems (ERP-Software)
BMF vom 18.11.2005 (BStBl I S. 1025)
IV B 2 – S 2172 – 37/05
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BMF vom 18.11.2005 (BStBl I S. 1025)
IV B 2 – S 2172 – 37/05
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gelten für die bilanzsteuerrechtliche Behandlung der Aufwendungen zur Einführung eines betriebswirtschaftlichen Softwaresystems (ERP-Software ) folgende Grundsätze:
ERP-Software ist ein Softwaresystem, das zur Optimierung von Geschäftsprozessen eingesetzt und aus verschiedenen Modulen (z. B. Fertigung, Finanzen, Logistik, Personal, Vertrieb) zusammengestellt wird. Wesensmerkmal eines ERP-Systems ist die Funktion zur umfassenden Integration und Steuerung verschiedener Unternehmensaktivitäten. Für den betrieblichen Einsatz ist es notwendig, die Programme an die unternehmensspezifischen Belange anzupassen. Der Gesamtvorgang der Einführung der ERP-Software wird als Implementierung bezeichnet.
ERP-Software ist regelmäßig Standardsoftware und bei entgeltlichem Erwerb ein aktivierungspflichtiges immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens. Dabei bilden alle Module zusammen – wegen ihres einheitlichen Nutzungs- und Funktionszusammenhangs – ein Softwaresystem (d. h. ein Wirtschaftsgut). Dies gilt auch, wenn die Module zu unterschiedlichen Zeitpunkten oder von unterschiedlichen Softwareherstellern erworben werden, es sei denn, der Steuerpflichtige weist nach, dass einzelne Module nicht in das Gesamtsystem zur Steuerung der Geschäftsprozesse integriert werden, also selbständig nutzbar sind. Der Steuerpflichtige erwirbt mit der Software entsprechende Lizenzrechte vom Anbieter (Softwarehersteller oder ein von diesem berechtigter Unternehmer).
Ist Gegenstand der Verträge mit dem Anbieter und/oder mit Dritten ein eingerichtetes Softwaresystem (Erwerb einer Standardsoftware und ihre Implementierung), liegt ein aktivierungspflichtiger Anschaffungsvorgang vor. Dies gilt auch, wenn die erworbene Standardsoftware ganz oder teilweise mit eigenem Personal implementiert wird (Herstellung der Betriebsbereitschaft).
Die erforderliche Implementierung der ERP-Software macht diese nicht zu einer Individualsoftware und führt damit nicht zu einem Herstellungsvorgang, wenn keine wesentliche Änderungen am Quellcode vorgenommen werden; die Anpassung an die betrieblichen Anforderungen (sog. Customizing) erfolgt regelmäßig ohne Programmierung. Insofern kann von einer Selbstherstellung und infolgedessen von einem Aktivierungsverbot nicht ausgegangen werden. Ein Indiz für wesentliche Änderungen am Quellcode ist gegeben, soweit diese Auswirkungen auf die zivilrechtliche Gewährleistung des Software-Herstellers haben.
Bei der Zuordnung der Aufwendungen im Zusammenhang mit der Anschaffung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Planungskosten umfassen die Aufwendungen für die Analyse der Geschäftsprozesse, die notwendige Vorstufe für die Einführung einer ERP-Software ist. Diese sind Anschaffungsnebenkosten, soweit sie in direktem Zusammenhang zum anzuschaffenden Softwaresystem stehen und nach der Kaufentscheidung anfallen (Abgrenzung vgl. Rdnr. 14).
Implementierungskosten unterteilen sich in Aufwendungen für Customizing, Modifications (Programmänderung) und Extensions (Programmerweiterung) und sind als Anschaffungsnebenkosten zu behandeln (Ausnahme vgl. Rdnrn. 8 und 13). Customizing bezeichnet dabei die Anpassung an die Struktur des Unternehmens und die Organisationsabläufe ohne Programmierung (nur branchen- und unternehmensspezifische Einstellungen in Tabellen). Die Höhe der Kosten (ca. das 5- bis 10-fache der Lizenzkosten) führt dabei nicht zur Herstellung eines immateriellen Wirtschaftsgutes, weil die umfangreichen Einstellungen lediglich der Herstellung der Betriebsbereitschaft eines bereits angeschafften, standardisierten Wirtschaftsgutes dienen. Mit den Einstellungen werden keine neuen Funktionen der Software geschaffen, sondern lediglich vom Softwarehersteller ausgelieferte Funktionen betriebsbereit gemacht. Zur Abgrenzung von Herstellungskosten vgl. Rdnr. 12.
Eigenleistungen, die mit der Anschaffung und Implementierung des Softwaresystems im direkten Zusammenhang stehen und diesem einzeln zugeordnet werden können, wie z. B. Kosten für die Installation und Parametrisierung sowie den hierdurch verursachten Personalaufwand, weitere innerbetriebliche Personalkosten (dazu zählen auch die Aufwendungen für die Schulung des eigenen Personals für die Unterstützung der Durchführung und Mitgestaltung des Customizings), Raumkosten oder Reisekosten gehören zu den Anschaffungsnebenkosten.
Soweit Anpassungsvorgänge über das Customizing hinausgehen, z. B. Erstellung von aufwändigen Reports oder Programmierung von Schnittstellen, ist zu unterscheiden, ob diese Funktionen bei Vergleich mit der Gesamtheit der vom Softwarehersteller ausgelieferten Funktionen eine Erweiterung oder wesentliche Verbesserung darstellen oder ob vorhandene Funktionen ohne wesentliche Verbesserung lediglich modifiziert werden. Eine Erweiterung oder wesentliche Verbesserung ist immer dann anzunehmen, wenn die Software eine zusätzliche Funktionalität erhält oder ihr Anwendungsbereich über die standardmäßig vorgesehenen Einsatzgebiete hinaus ausgedehnt wird. Wesentliche Änderungen am Quellcode oder Umprogrammierungen im Programmablauf (in der Sequenz der Programmbefehle) sind immer als Erweiterung anzusehen. Aufwendungen für Erweiterungen oder wesentliche Verbesserungen sind Herstellungskosten und bei Eigenherstellung wegen des Aktivierungsverbots gemäß § 5 Abs. 2 EStG als Betriebsausgabe zu behandeln.
Wird das vorhandene Softwaresystem durch nachträglich angeschaffte Module – unabhängig vom Hersteller – erweitert, handelt es sich um nachträgliche Anschaffungskosten des Wirtschaftsgutes Softwaresystem, da sie nach ihrer Integration unselbständige Bestandteile dieses Wirtschaftsgutes sind. Ggf. ist eine neue Restnutzungsdauer zu bestimmen. Ein neues Wirtschaftsgut entsteht erst, wenn eine völlige Neukonzeption der betriebswirtschaftlichen Software und der dann dafür erforderlichen Hardwareumgebung stattfindet. Für die Qualifizierung der Aufwendungen (Anschaffungs- oder Herstellungskosten) gelten die Rdnr. 6 und 12 entsprechend. Aufwendungen für den Erwerb von weiteren Nutzungsrechten für zusätzliche Benutzer führen zu nachträglichen Anschaffungskosten.
Aufwendungen der in Rdnr. 16 (Wartungskosten) genannten Art für eine tief greifende Überarbeitung einer bisherigen Programmversion im Sinne eines Generationswechsels können als Anschaffungskosten eines neuen Wirtschaftsgutes zu aktivieren sein. Hinweise darauf liegen z. B. bei Vergabe einer neuen Lizenz, Funktionserweiterung der Software oder Notwendigkeit einer Datenmigration auf die neue Programmversion vor. Kommen neue zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten der Software hinzu und wird die bisherige Software aufgrund der alten, weiterhin fortgeltenden Lizenz weiter genutzt, sind in den Aufwendungen für die neue Lizenz nachträgliche Anschaffungskosten zu sehen. Tritt dagegen eine neue Lizenz an die Stelle der alten Lizenz, kommen Teilwertabschreibungen in Höhe des im Restbuchwert des Software-Systems enthaltenen rechnerischen Anteils der Ursprungslizenz in Betracht. Bei der Ermittlung des Teilwertes des neuen Softwaresystems sind Preisnachlässe, die aufgrund der Nutzung der Vorgängerversion vom Softwareanbieter auf die Anschaffungskosten gewährt werden, nicht mindernd zu berücksichtigen. Die Summe aus dem Buchwert der alten Lizenz und den neuen Anschaffungskosten ist dem so ermittelten Teilwert gegenüber zu stellen. Die Differenz ergibt die vorzunehmende Teilwertabschreibung. Die verbleibenden Customizingkosten sind dem neuen zu aktivierenden Wirtschaftsgut hinzuzurechnen, da sie wirtschaftlich noch nicht verbraucht sind.
Wird das Softwaresystem selbst hergestellt, greift das Aktivierungsverbot gemäß § 5 Abs. 2 EStG ein. Demzufolge sind alle Aufwendungen sofort abziehbare Betriebsausgaben.
Von einer Herstellung kann ausgegangenen werden, wenn eine neue Individualsoftware durch eigenes fachlich ausgebildetes Personal oder Subunternehmer im Rahmen von Dienstverträgen hergestellt und das Herstellerrisiko vom Softwareanwender selbst getragen wird.
Änderungen oder Erweiterungen am Softwareprogramm (sog. Modifications und Extensions, i. d. R. durch Änderungen am Quellcode) sind nur dann als Herstellungsvorgang zu werten, wenn diese in einem solchen Umfang vorgenommen werden, dass Leistungen des Anbieters im Rahmen der Gewährleistung und Wartung vertraglich ausgeschlossen sind oder der Softwareanwender das Herstellungsrisiko einer erfolgreichen Realisierung der Erweiterungs- oder Verbesserungsmaßnahme trägt. Hierfür trägt der Steuerpflichtige die Darlegungs- und Beweislast.
Vorkosten sind Aufwendungen, die vor der Kaufentscheidung anfallen. Sie sind sofort als Betriebsausgaben abziehbar.
Aufwendungen für die Anwenderschulung sind sofort als Betriebsausgaben abziehbar (Ausnahme vgl. Rdnr. 7).
Es bestehen keine Bedenken, Wartungskosten, die aufgrund von regelmäßig mit dem Lizenzvertrag abgeschlossenen Wartungsverträgen anfallen, sowie die Zurverfügungstellung von Weiterentwicklungen und Verbesserungen der Software im Rahmen von Updates, Versions- oder Releasewechseln als Erhaltungsaufwendungen zu behandeln, obwohl sie auch Elemente von nachträglichen Anschaffungskosten enthalten (Abgrenzung vgl. Rdnr. 10).
Ein sofortiger Abzug als Erhaltungsaufwand ist ausgeschlossen, wenn in den Wartungskosten ein verdeckter Kaufpreis enthalten ist. Dies ist der Fall, wenn der Abschluss eines Wartungsvertrages Einfluss auf die Höhe des Kaufpreises der Lizenz hat. In diesem Fall ist eine Aufteilung in Erhaltungsaufwand und Anschaffungskosten im Wege der Schätzung vorzunehmen.
Bei Piloteinsätzen wird das Softwaresystem bereits überwiegend für Zwecke der betrieblichen Leistungserstellung eingesetzt. Die dadurch verursachten zusätzlichen Aufwendungen sind als Kosten des laufenden Betriebs sofort als Betriebsausgaben zu berücksichtigen.
Aufwendungen für die Übernahme von Daten (z. B. Kunden- und Lieferantenstammdaten) aus Alt- oder Vorgängersystemen (Datenmigration) sind sofort als Betriebsausgaben abziehbar.
Wird ein eingerichtetes Softwaresystem angeschafft, beginnt die Abschreibung mit der Betriebsbereitschaft des Wirtschaftsgutes (R 44 Abs. 1 Satz 3 EStR 2003 ). Die Betriebsbereitschaft ist mit dem Abschluss der Implementierung hergestellt. Bei der stufenweisen Einführung von Modulen ist der Zeitpunkt der Betriebsbereitschaft der ersten Module für den Beginn der AfA maßgeblich. Das Ende des Zeitraums der Entstehung von Implementierungskosten kann daher als Indiz für den Beginn der Betriebsbereitschaft und damit als Beginn der AfA gewertet werden. Gleiches gilt für einen erfolgreichen Testlauf des gesamten Softwaresystems. Ein erfolgloser Testlauf ist dagegen ein Beleg fehlender Betriebsbereitschaft. Davon abzugrenzen ist ein Piloteinsatz. Dieser erfolgt nach der Betriebsbereitschaft des Softwaresystems und hat damit keinen Einfluss auf den Beginn der AfA. Der Betriebsbereitschaft steht ferner nicht entgegen, wenn Modifications und Extensions, die zusätzliche Funktionalitäten bereitstellen, noch nicht abgeschlossen sind.
Wird mit der Einrichtung des Softwaresystems ein Dritter beauftragt, beginnt die AfA mit dem Übergang der wirtschaftlichen Verfügungsmacht an den Softwarelizenzen auf den Steuerpflichtigen (R 44 Abs. 1 Satz 4 EStR 2003 ). Die Aufwendungen für die Implementierung sind als nachträgliche Anschaffungskosten mit der Software-Lizenz abzuschreiben.
Das ERP-Softwaresystem ist ein immaterielles Wirtschaftsgut und kann gem. § 7 Abs. 1 Satz 1 EStG nur linear abgeschrieben werden. Als betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer wird grundsätzlich ein Zeitraum von fünf Jahren angenommen. Werden nachträgliche Anschaffungskosten aufgewendet (vgl. Rdnr. 9), bemisst sich die Abschreibung nach der Restnutzungsdauer (BFH vom 25. November 1970, BStBl 1971 II S. 142).
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