Mit Urteilen vom 1. August 2019 – VI R 32/18, VI R 21/17 (NV) und VI R 40/17 (NV) – hat der BFH seine Rechtsprechung zu der in verschiedenen Steuerbefreiungs- und Pauschalbesteuerungsnormen oder anderen steuerbegünstigenden Normen des Einkommensteuergesetzes enthaltenen Tatbestandsvoraussetzung, wonach die jeweilige Steuervergünstigung davon abhängt, dass eine bestimmte Arbeitgeberleistung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht werden muss (sog. Zusätzlichkeitsvoraussetzung), geändert.
Der BFH hat seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, nach der nur freiwillige Arbeitgeberleistungen, also Leistungen, die der Arbeitgeber arbeitsrechtlich nicht schuldet, zusätzlich in diesem Sinne erbracht werden konnten (BFH-Urteile vom 19. September 2012 – VI R 54/11 – BStBl II 2013, S. 395, und – VI R 55/11 – BStBl II 2013, S. 398, als Rechtsprechungsänderung zum BFH-Urteil vom 15. Mai 1998 – VI R 127/97 – BStBl II S. 518).
Nunmehr verneint der BFH, dass bestimmte Steuervergünstigungen für Sachverhalte mit Gehaltsverzicht oder -umwandlung (je nach arbeitsvertraglicher Ausgestaltung) durch die Zusätzlichkeitsvoraussetzung ausgeschlossen werden. Voraussetzung sei nur, dass der verwendungsfreie Arbeitslohn zugunsten verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich wirksam herabgesetzt wird (Lohnformwechsel). Ansonsten liege eine begünstigungsschädliche Anrechnung oder Verrechnung vor (BFH-Urteil vom 1. August 2019 – VI R 32/18 – Rdnr. 30).
Tarifgebundener verwendungsfreier Arbeitslohn kann somit nicht zugunsten bestimmter anderer steuerbegünstigter verwendungs- oder zweckgebundener Leistungen herabgesetzt oder zugunsten dieser umgewandelt werden, da der tarifliche Arbeitslohn nach Wegfall der steuerbegünstigten Leistungen wiederauflebt.
Die neue BFH-Rechtsprechung betrifft z. B. die Vorschriften § 3 Nummer 15, 33, 34, 34a, 37, 46 EStG und § 37b Absatz 2 EStG, § 40 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 und 6 EStG, § 100 Absatz 3 Nummer 2 EStG sowie die mit dem „Gesetz zur weiteren Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ eingeführten Regelungen zu den Zuschüssen zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte etc. (§ 40 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe b EStG), zur Übereignung betrieblicher Fahrräder (§ 40 Absatz 2 Satz 1 Nummer 7 EStG) und zur Anwendung der 44-Euro-Freigrenze bei Gutscheinen und Geldkarten (§ 8 Absatz 2 Satz 11 zweiter Halbsatz EStG).
Der Gesetzgeber hat regelmäßig auf die Formulierung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ zurückgegriffen, wenn Sachverhalte mit Gehaltsverzicht oder -umwandlung explizit von der Steuerbegünstigung ausgeschlossen werden sollten; so zuletzt noch in der Einzelbegründung zu § 8 Absatz 2 Satz 11 zweiter Halbsatz EStG (Gesetz zur weiteren Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften – Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drs. 19/14909 S. 44), wo es beispielsweise heißt: „Die Ergänzung des § 8 Absatz 2 Satz 11 EStG soll sicherstellen, dass Gutscheine und Geldkarten nur dann unter die 44-Euro-Freigrenze fallen, wenn sie vom Arbeitgeber zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Der steuerliche Vorteil soll damit insbesondere im Rahmen von Gehaltsumwandlungen ausgeschlossen werden.“
Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt daher zu der Tatbestandsvoraussetzung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung abweichend von der neuen BFH-Rechtsprechung und über den Einzelfall hinaus zur Gewährleistung der Kontinuität der Rechtsanwendung weiterhin Folgendes:
Im Sinne des Einkommensteuergesetzes werden Leistungen des Arbeitgebers oder auf seine Veranlassung eines Dritten (Sachbezüge oder Zuschüsse) für eine Beschäftigung nur dann „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht, wenn
1. die Leistung nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
2. der Anspruch auf Arbeitslohn nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
3. die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
4. bei Wegfall der Leistung der Arbeitslohn nicht erhöht
wird. Dies gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unabhängig davon, ob der Arbeitslohn tarifgebunden ist.
Es sind somit im gesamten Lohn-und Einkommensteuerrecht nur echte Zusatzleistungen des Arbeitgebers steuerbegünstigt.
Dieses Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 22. Mai 2013 (BStBl I Seite 728) zur Anwendung der BFH-Urteile vom 19. September 2012 – VI R 54/11 – BStBl II 2013, Seite 395, und – VI R 55/11 – BStBl II 2013, Seite 398.
Dieses Schreiben ist in allen offenen Fällen anzuwenden und wird im Bundessteuerblatt Teil I veröffentlicht.
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