1.
Allgemeines
1.1
Regelungsbereich eines DBA/des OECD-MA
1
Ein DBA enthält Regelungen über die Zuweisung des Besteuerungsrechts sowie zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung im Verhältnis der beiden vertragschließenden Staaten (Vertragsstaaten) zueinander. Ein DBA begründet selbst keinen Besteuerungsanspruch. Das Abkommen wird regelmäßig durch ein Protokoll zum DBA, eine Denkschrift, Briefwechsel oder andere Dokumente ergänzt und erläutert. Das Protokoll zum DBA ist Bestandteil des Abkommens und in gleicher Weise verbindlich.
2
Im Nachfolgenden wird die abkommensrechtliche Behandlung der Vergütungen aus unselbständiger Arbeit anhand des OECD-MA dargestellt. Sowohl das OECD-MA als auch der OECD-MK werden vom Steuerausschuss der OECD laufend weiterentwickelt. Das OECD-MA entfaltet selbst keine rechtliche Bindungswirkung; die von Deutschland abgeschlossenen und rechtlich wirksamen DBA orientieren sich jedoch nach Inhalt und Aufbau i. d. R. am OECD-MA. Im konkreten Einzelfall sind die jeweiligen Vorschriften des anzuwendenden DBA maßgeblich, nicht das OECD-MA. Soweit im Einzelfall Anknüpfungspunkte zu mehreren Staaten bestehen, können verschiedene DBA nebeneinander zu beachten sein (z. B. bei Berufskraftfahrern, s. Tz. 7, Rn. 380 ff.).
3
Bei der steuerlichen Beurteilung von Vergütungen aus unselbständiger Arbeit sind daher insbesondere die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts und die des jeweils anzuwendenden DBA zu beachten. Die Regelungen des OECD-MA und die Aussagen des OECD-MK sind unter Berücksichtigung der nachfolgenden Grundsätze bei der Auslegung der DBA zu berücksichtigen, soweit diese dem OECD-MA im Wesentlichen inhaltlich entsprechen.
4
Beispiel 1: Wohnsitz in Deutschland
Der Arbeitnehmer ist nur in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig. Er ist in Österreich und Belgien tätig.
Lösung:
Es sind die DBA zwischen Deutschland und dem jeweiligen Tätigkeitsstaat (DBA-Österreich und DBA-Belgien) zu prüfen.
5
Beispiel 2: kein Wohnsitz in Deutschland
Der Arbeitnehmer ist nur in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Er ist in Deutschland und zusätzlich in Belgien tätig. Er erstellt Marktanalysen und erzielt daraus Vergütungen, mit denen er insgesamt nach § 1 Abs. 4 EStG i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG beschränkt steuerpflichtig ist (BFH-Urteil vom 12. November 1986, BStBl II 1987 S. 379).
Lösung:
Es ist aus deutscher Sicht ausschließlich das DBA zwischen Österreich und Deutschland zu prüfen, da nur für dieses DBA eine Abkommensberechtigung nach Art. 4 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 DBA-Österreich vorliegt. Soweit die Vergütungen auf die in Belgien ausgeübte Tätigkeit entfallen, steht Deutschland nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Österreich kein Besteuerungsrecht zu. Das DBA zwischen Deutschland und Belgien kommt für die in Belgien ausgeübte Tätigkeit mangels Abkommensberechtigung des Arbeitnehmers nicht zur Anwendung.
6
Durch ein DBA mit einem nicht kooperativen Steuerhoheitsgebiet (§ 2 StAbwV) werden deutsche Besteuerungsrechte für den Zeitraum nicht berührt, in dem das Steueroasen-Abwehrgesetz bezogen auf dieses Steuerhoheitsgebiet Anwendung findet (§ 3 i. V. m. § 1 Abs. 3 Satz 2 StAbwG).
1.2
OECD-Musterabkommen
1.2.1
Bestimmung der Ansässigkeit – Art. 4 OECD-MA
7
Für die Anwendung eines DBA ist der Staat zu bestimmen, in dem der Arbeitnehmer und ggf. der Arbeitgeber entsprechend Art. 1 i. V. m. Art. 4 OECD-MA ansässig sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen der Ansässigkeit nach Art. 4 OECD-MA sind unabhängig von der Vorlage einer Ansässigkeitsbescheinigung eines Vertragsstaats oder einer entsprechenden steuerlichen Behandlung in einem Vertragsstaat zu prüfen (s. Rn. 12 ff.). Der abkommensrechtliche Begriff der Ansässigkeit entspricht nicht dem im innerstaatlichen Recht verwendeten Begriff der unbeschränkten Steuerpflicht.
8
Während die unbeschränkte Steuerpflicht nach innerstaatlichem Recht eine umfassende Steuerpflicht begründet, führt die Ansässigkeit einer Person in einem der Vertragsstaaten zu ihrer Abkommensberechtigung (Art. 1 OECD-MA). Zugleich wird mit der Bestimmung der Ansässigkeit einer Person in einem Vertragsstaat dieser Staat für die Anwendung des Abkommens zum Ansässigkeitsstaat der Person; der andere Vertragsstaat ist der Quellen‑ bzw. bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit i. S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz OECD-MA auch der Tätigkeitsstaat. Eine Person kann zwar in beiden Vertragsstaaten (z. B. aufgrund eines doppelten Wohnsitzes) unbeschränkt steuerpflichtig sein, dagegen kann sie nur in einem der beiden Vertragsstaaten als ansässig i. S. eines DBA gelten (s. Rn. 12 ff.). Die abkommensrechtliche Bestimmung der Ansässigkeit hat keine Auswirkung auf eine bestehende inländische Steuerpflicht. Die Ansässigkeit i. S. des Art. 4 OECD-MA kann sich während eines VZ auch ändern.
9
Eine natürliche Person ist nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA in einem Vertragsstaat ansässig, wenn sie dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist (s. Tz. 2.1, Rn. 42 ff. zur Steuerpflicht nach dem EStG). Eine Ansässigkeit in einem Vertragsstaat wird nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA jedoch nicht begründet, wenn die Person in diesem Staat nur mit Einkünften aus Quellen in diesem Staat oder mit in diesem Staat gelegenen Vermögen steuerpflichtig ist, die Person nach deutschem Rechtsverständnis dort also nur einer beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Dies gilt auch für Abkommen, in denen der deklaratorische Zusatz des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA nicht enthalten ist. Die Ansässigkeit nach Art. 4 Abs. 1 OECD-MA setzt damit eine unbeschränkte Steuerpflicht nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht der Vertragsstaaten voraus. Die unbeschränkte Steuerpflicht auf Antrag nach § 1 Abs. 3 EStG begründet hingegen keine Ansässigkeit in Deutschland.
10
Zu beachten sind außerdem die Besonderheiten, die sich durch die speziellen Regelungen in einzelnen DBA (z. B. Art. 4 Abs. 3, 4 und 6 DBA-Schweiz, Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b DBA-VAE (Letzteres anzuwenden bis 31. Dezember 2021), Special Tax-Regime Spanien (Protokoll Ziffer II zum DBA-Spanien)) bzw. durch den Rückgriff auf das jeweilige innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten (z. B. China, Südafrika) ergeben können.
11
Nach China entsandte Arbeitnehmer eines inländischen Arbeitgebers können unter Berücksichtigung des chinesischen Einkommensteuerrechts auch dann in China i. S. des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 DBA-China ansässig sein, wenn sie der dortigen unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen, aber in den ersten sechs Kj. der Entsendung die dortige Steuerbefreiungsvorschrift für Ausländer in Anspruch nehmen. Ab dem VZ 2019 ist Voraussetzung für die unbeschränkte Steuerpflicht in China, dass sich der Arbeitnehmer an mindestens 183 Tagen im Kj. in China aufhält. In diesem Fall sind sie zwar dem Grunde nach unbeschränkt steuerpflichtig, werden aber lediglich mit ihren Einkünften aus chinesischen Quellen (Arbeitstage in China sowie Arbeitstage außerhalb Chinas, soweit der Lohn von einem chinesischen Arbeitgeber/einer chinesischen Betriebsstätte wirtschaftlich getragen wurde) besteuert.
12
Eine Person kann für die Anwendung des DBA nur in einem Vertragsstaat als ansässig gelten. Ist die Person nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA in beiden Vertragsstaaten ansässig (sog. doppelte Ansässigkeit), ist nach der in Art. 4 Abs. 2 OECD-MAfestgelegten Prüfungsreihenfolge festzustellen, in welchem Vertragsstaat die Person als ansässig gilt.
13
Verfügt die Person nur in einem Staat über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie nur in diesem Staat als ansässig. Unter einer ständigen Wohnstätte sind Räumlichkeiten zu verstehen, die nach Art und Einrichtung zum Wohnen geeignet sind, die ständig genutzt werden können und die tatsächlich regelmäßig genutzt werden. Eine als Familienwohnung genutzte Wohnung ist dabei bis zum Ende des Mietverhältnisses bzw. dem tatsächlichen Auszug der Familie als eine ihr zur Verfügung stehende ständige Wohnstätte i. S. des Art. 4 Abs. 2 OECD-MA anzusehen. Es handelt sich um eine in den allgemeinen Lebensrhythmus der Person einbezogene Anlaufstelle (BFH-Urteile vom 23. Oktober 1985, BStBl II 1986 S. 133, vom 16. Dezember 1998, BStBl II 1999 S. 207 und vom 5. Juni 2007, BStBl II S. 812).
14
Vorausgesetzt, die Person verfügt in beiden Staaten über eine ständige Wohnstätte, so gilt sie als nur in dem Staat ansässig, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat (Mittelpunkt der Lebensinteressen). Dabei sind die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen nach objektiven Anhaltspunkten des jeweiligen Einzelfalls gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990, BStBl II 1991 S. 562). Die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen sind grundsätzlich gleichrangig und im Rahmen des Gesamtbildes der Verhältnisse zu gewichten, um im Einzelfall den für eine Person bedeutungsvolleren Ort festzustellen (BFH-Urteil vom 23. Juli 1971, BStBl II S. 758). Werden im Veranlagungsverfahren im Rahmen der erhöhten Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 2 AO die hierfür erforderlichen Informationen nicht vorgelegt, sind die für den Steuerpflichtigen nachteiligen steuerlichen Konsequenzen zu ziehen (BFH-Urteil vom 15. Februar 1989, BStBl II S. 462).
15
Bei den persönlichen Beziehungen sind sämtliche persönlichen Verhältnisse aus der privaten Lebensführung einer Person, insbesondere die familiären und gesellschaftlichen Beziehungen, die politische, kulturelle und sonstige Verwurzelung, die Ausstattung und Größe der Wohnung, private Aktivitäten, Mitgliedschaften in Parteien und Vereinen zu berücksichtigen. Wird eine weitere Wohnstätte in einem Vertragsstaat begründet und die bisherige Wohnstätte im anderen Vertragsstaat beibehalten, spricht dies für das Fortbestehen gewichtiger persönlicher Beziehungen im Vertragsstaat der bisherigen Wohnstätte. Die Würdigung der persönlichen Beziehungen einer Person in einem Vertragsstaat erfordert die Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten der Vertragsstaaten.
16
Wirtschaftliche Beziehungen richten sich grundsätzlich nach den Einnahmen und dem Vermögen einer Person (BFH-Urteil vom 31. Oktober 1990, BStBl II 1991 S. 562):
- Hierfür sind sämtliche Einnahmequellen und deren Herkunft festzustellen. Bei einer unselbständigen Arbeit muss neben dem Ort der Tätigkeitsausübung und dem zivilrechtlichen Arbeitsverhältnis auch berücksichtigt werden, ob der Arbeitnehmer befristet in einem anderen Staat tätig wird bzw. ob auf eine Absicht geschlossen werden kann, in den Vertragsstaat der bisherigen Wohnstätte zurückzukehren. Wird in einem Vertragsstaat eine Wohnstätte beibehalten und besteht in demselben Staat ein ruhendes Arbeitsverhältnis, ist z. B. bei einer befristeten Entsendung mit Rückkehrzusage davon auszugehen, dass eine Rückkehrabsicht besteht und damit wirtschaftliche Interessen in diesem Staat vorliegen. In diesem Zusammenhang sind die Dauer der befristeten Tätigkeit im anderen Staat sowie die Dauer der zuvor in dem Vertragsstaat der beibehaltenen Wohnstätte ausgeübten Tätigkeit (berufliche Verwurzelung) in die Beurteilung miteinzubeziehen.
- Auf der Vermögensebene ist insbesondere die Belegenheit von Grundbesitz und sonstigem Vermögen (z. B. Gesellschaftsbeteiligungen, Aktiendepot, Bankguthaben, Barmittel, Fahrzeuge etc.) in die Beurteilung einzubeziehen. Je nach Intensität der Vermögensverwaltung kann auch der Ort von Bedeutung sein, von dem aus die Person ihr Vermögen verwaltet. Das vorhandene Vermögen ist anhand seiner wirtschaftlichen Bedeutung gegenüber der Einnahmenseite abzuwägen.
17
Beispiel 1: Entsendung ohne Familienbegleitung
Der Arbeitnehmer begründet während seines Aufenthalts im ausländischen Tätigkeitsstaat einen Wohnsitz. Die Familie ist dem Arbeitnehmer nicht in den Tätigkeitsstaat gefolgt. Es liegt tatbestandlich sowohl im Inland als auch im Ausland eine ständige Wohnstätte i. S. von Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor.
Lösung:
Der Arbeitnehmer unterhält sowohl im Inland als auch im Ausland eine ständige Wohnstätte. Die Ansässigkeit in einem Vertragsstaat richtet sich dann danach, in welchem Vertragsstaat sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet (Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA). Dieser befindet sich für den Arbeitnehmer i. d. R. auch während seines Aufenthalts im Ausland weiterhin im Inland. Insbesondere unterhält der Arbeitnehmer nach wie vor persönliche Beziehungen zu seiner Familie im Inland. Demgegenüber treten etwaige persönliche Beziehungen, die der Arbeitnehmer im Ausland unterhält, in aller Regel zurück.
18
Die Dauer des befristeten Aufenthalts im Tätigkeitsstaat kann bei Innehaben einer weiteren ständigen Wohnstätte in diesem Vertragsstaat, als Indiz bei der Gewichtung der persönlichen Interessen herangezogen werden. Je länger ein Aufenthalt in einem Staat andauert, umso mehr kann davon ausgegangen werden, dass sich auch dort persönliche Interessen ergeben. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Verhältnisse. Bei einem nur vorübergehenden Aufenthalt (BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985, BStBl II 1986 S. 133) im Tätigkeitsstaat kann davon ausgegangen werden, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen weiterhin in dem Vertragsstaat der beibehaltenen Wohnstätte befindet. Eine Person wird bei einem nur vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Staat i. d. R. weiterhin im Staat der beibehaltenen Wohnstätte gewichtigere wirtschaftliche Beziehungen unterhalten, wie z. B. Grundbesitz, Kapitalvermögen, Gehaltskonto, Arbeitsverhältnis zu einem Arbeitgeber im Staat der beibehaltenen Wohnstätte. Die wirtschaftlichen Beziehungen im anderen Staat werden hingegen i. d. R. nur von vorübergehender Dauer sein. Bei einer befristeten Entsendung von fünf Jahren oder mehr besteht eine widerlegbare Vermutung, dass sich die gewichtigeren persönlichen Beziehungen einer Person in den Entsendestaat verlagern. Bei einer Entsendung von bis zu einem Jahr besteht hingegen die widerlegbare Vermutung, dass die persönlichen Beziehungen einer Person in dem Staat der beibehaltenen Wohnstätte verbleiben.
19
Beispiel 2: Entsendung bis zu einem Jahr
Der Arbeitnehmer begründet während seines auf bis zu einem Jahr befristeten Aufenthalts im ausländischen Tätigkeitsstaat einen Wohnsitz. Die Wohnung in Deutschland wird beibehalten. Es liegt sowohl im Inland als auch im Ausland tatbestandlich eine ständige Wohnstätte i. S. von Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor. Das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber besteht fort.
- Der Arbeitnehmer ist alleinstehend.
- Die Familie ist dem Arbeitnehmer in den Tätigkeitsstaat gefolgt.
Lösung:
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet sich – unabhängig vom Familienstand – in aller Regel weiterhin im Inland (BFH-Urteil vom 23. Oktober 1985, BStBl II S. 133), da bei einem auf ein Jahr befristeten Aufenthalt im Tätigkeitsstaat und dem Fortbestehen des bisherigen Arbeitsverhältnisses sowie der Beibehaltung der bisherigen Wohnung in Deutschland die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland zumeist gewichtiger sind als die zum anderen Staat.
20
Beispiel 3: Zeitpunkt des Ansässigkeitswechsels
Der alleinstehende Arbeitnehmer begründet während seines auf zwei Jahre befristeten Aufenthalts im ausländischen Tätigkeitsstaat einen Wohnsitz. Die Wohnung in Deutschland wird beibehalten. Es liegt sowohl im Inland als auch im Ausland tatbestandlich eine ständige Wohnstätte i. S. des Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor. Das Arbeitsverhältnis zum bisherigen Arbeitgeber besteht aufgrund einer Rückkehrzusage fort. Während seines zweiten Entsendejahres verlängert er die Auslandstätigkeit auf insgesamt sechs Jahre. Der Arbeitnehmer verfügt über kein nennenswertes Vermögen in beiden Vertragsstaaten.
Lösung:
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen verlagert sich in solchen Fällen i. d. R. zu dem Zeitpunkt in den ausländischen Tätigkeitsstaat, an dem objektive Gründe darauf schließen lassen, dass die Absicht besteht, den Auslandsaufenthalt auf eine gewisse Dauer auszuweiten. Dies ist regelmäßig das Datum der schriftlichen Verlängerung der Auslandsentsendung.
21
Beispiel 4: Kettenentsendung
Der alleinstehende Arbeitnehmer ist im Rahmen einer „Kettenentsendung“ in verschiedenen Staaten tätig und wird bei den ausländischen Tochtergesellschaften seines zivilrechtlichen inländischen Arbeitgebers wie folgt eingesetzt: 01 in Indien, 02 in den USA, 03 in China und 04 in Mexiko. Der Arbeitnehmer begründet in den jeweiligen Staaten für die Dauer seines Aufenthalts jeweils einen Wohnsitz. Die Wohnung in Deutschland wird beibehalten. In den jeweiligen Zeiträumen liegt sowohl im Inland als auch in den jeweiligen Entsendestaaten tatbestandlich eine ständige Wohnstätte i. S. des Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor. Nach Beendigung der jeweiligen Entsendung hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit am deutschen Stammsitz seines Arbeitgebers zu arbeiten.
Lösung:
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen wird bei einer Kettenentsendung regelmäßig im Inland verbleiben. Aufgrund der absehbaren vorübergehenden Aufenthaltsdauer in den jeweiligen Entsendestaaten, können sich keine gewichtigen persönlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen des Arbeitnehmers im jeweiligen Einsatzstaat ergeben. Die persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland bleiben hingegen unverändert bestehen. Ein Wechsel der Ansässigkeit in den jeweiligen Entsendestaat findet daher nicht statt.
22
Beispiel 5: auf fünf Jahre befristete Entsendung/unbefristete Entsendung
Der Arbeitnehmer begründet während seines fünfjährigen/unbefristeten Aufenthalts im ausländischen Tätigkeitsstaat einen Wohnsitz. Die Familie ist zusammen mit dem Arbeitnehmer in den Tätigkeitsstaat umgezogen. Die Wohnung in Deutschland steht der Familie jederzeit zur Nutzung zur Verfügung. Es liegt sowohl im Inland als auch im Ausland tatbestandlich eine ständige Wohnstätte i. S. von Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor.
Lösung:
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet sich in einem solchen Fall i. d. R. im Tätigkeitsstaat, da dort nach dem Gesamtbild der Verhältnisse insbesondere die persönlichen Interessen des Arbeitnehmers (u. a. wegen der Familienbegleitung) liegen werden.
23
Beispiel 6: auf weniger als fünf Jahre befristete Entsendung
Der Arbeitnehmer ist in Deutschland aufgewachsen und seit vielen Jahren für seinen in Deutschland ansässigen Arbeitgeber tätig (Bruttojahresvergütung 100.000 €). Seine Eltern und Geschwister leben ebenfalls in Deutschland. Er bewohnt mit seiner Familie ein in seinem Eigentum stehendes Einfamilienhaus (Verkehrswert: 750.000 €). Außerdem vermietet er eine im Inland belegene Eigentumswohnung (Verkehrswert 350.000 €, jährliche Mieteinnahmen: 12.000 €). Während seiner auf drei Jahre befristeten Auslandsentsendung zu einer Tochtergesellschaft seines Arbeitgebers begründet er einen ausländischen Wohnsitz, dessen Kosten vom Arbeitgeber übernommen werden. Zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird eine Rückkehrzusage vereinbart. Das inländische Arbeitsverhältnis ruht für die Dauer der Entsendung. Die Familie ist zusammen mit dem Arbeitnehmer in den Tätigkeitsstaat umgezogen. Der inländische Familienwohnsitz wird nicht vermietet, sondern steht der Familie jederzeit zur Verfügung. Es liegt sowohl im Inland als auch im Ausland tatbestandlich eine ständige Wohnstätte i. S. des Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA vor.
Die Sprache, Kultur und Gesellschaft des ausländischen Staats sind dem Arbeitnehmer fremd. Bereits Monate vor Ablauf der befristeten Entsendung, trifft der Arbeitnehmer Vorkehrungen für die Rückkehr nach Deutschland (Umzug, Einschulung seiner Kinder etc.). Von den durchschnittlichen 230 Arbeitstagen pro Jahr verbringt der Arbeitnehmer rund 30 Arbeitstage in Deutschland. Der Weihnachtsurlaub wird jährlich in Deutschland verbracht.
Lösung:
Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu bestimmen. Dabei sind die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers in den beiden Vertragsstaaten zu gewichten, um den für den Arbeitnehmer bedeutungsvolleren Ort zu ermitteln. Zwar verfügt der Arbeitnehmer über gewichtige persönliche Interessen im Ausland, doch sind diese nicht auf Dauer angelegt. Die persönlichen Anknüpfungspunkte im Inland (Eltern, Geschwister, Freundeskreis, kulturelle Verwurzelung etc.) gehen durch den Auslandsaufenthalt nicht verloren. Es steht zu Beginn der Entsendung fest, dass der Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Tätigkeit im Ausland sofort wieder an seinen Arbeitsplatz in Deutschland zurückkehren wird. Der Umstand, dass der Familienwohnsitz während der vorübergehenden Auslandstätigkeit zur Nutzung bereitgehalten wurde, belegt die persönlichen Interessen des Arbeitnehmers in Deutschland.
Bei der Gewichtung der wirtschaftlichen Interessen in den beiden Vertragsstaaten ist zu berücksichtigen, dass die durch Tätigkeitsausübung im Ausland erzielten Einnahmen nur von vorübergehender Dauer sind, die nach Beendigung der Entsendung wieder entfallen (lediglich gegenwartsbezogen). Das zivilrechtliche Arbeitsverhältnis zum inländischen Arbeitgeber bleibt bestehen und die Tätigkeit wird nach der Rückkehr fortgeführt (berufliche Verwurzelung zum Inland). Daneben erzielt der Arbeitnehmer dauerhaft Mieterträge aus Deutschland. Zudem befindet sich sein gesamtes Vermögen in Deutschland. Die inländischen Einnahmen und das inländische Vermögen übersteigen die während des Auslandsaufenthalts erzielten Einnahmen.
Nach der Gewichtung aller persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Arbeitnehmers, ist davon auszugehen, dass der bedeutungsvollere Ort für den Arbeitnehmer in Deutschland liegt. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet sich in Deutschland. Der Arbeitnehmer ist nach Art. 4 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA in Deutschland ansässig.
24
Lässt sich die Ansässigkeit nicht anhand der ständigen Wohnstätte bestimmen, weil eine Person in keinem Vertragsstaat über eine ständige Wohnstätte verfügt oder der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht bestimmt werden kann, sind zunächst der gewöhnliche Aufenthalt und zuletzt die Staatsangehörigkeit heranzuziehen. Kann die Ansässigkeit auch nach dem letztgenannten Kriterium nicht bestimmt werden, weil die Person die Staatsangehörigkeit beider Staaten oder keines der Staaten besitzt, regeln die betreffenden Staaten die Ansässigkeit in gegenseitigem Einvernehmen.
1.2.2
Vergütungen aus unselbständiger Arbeit
1.2.2.1
Art. 15 OECD-MA
25
Nach Art. 15 Abs. 1 OECD-MA können die Vergütungen aus unselbständiger Arbeit nur im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden, es sei denn, die Tätigkeit wird im anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) ausgeübt. Wird die unselbständige Arbeit im anderen Staat ausgeübt, steht grundsätzlich diesem Staat das Besteuerungsrecht für die hierfür bezogenen Vergütungen zu (sog. Arbeitsortprinzip). Die bloße Verwertung einer unselbständigen Arbeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a 2. Alternative EStG) stellt keine Tätigkeit i. S. der DBA dar.
26
Abweichend hiervon steht unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA (sog. 183-Tage-Klausel) das Besteuerungsrecht für solche Vergütungen nur dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers zu (s. Tz. 4, Rn. 101 ff.).
27
Art. 15 Abs. 3 OECD-MA enthält eine gesonderte Bestimmung für Vergütungen des Bordpersonals von Schiffen und Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr (s. Tz. 4.3.4.2, Rn. 203, Tz. 8, Rn. 392 ff.).
28
Die Begriffe „Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen aus unselbständiger Arbeit“ sind im OECD-MA nicht definiert. Soweit sich aus dem anzuwendenden DBA nichts anderes ergibt oder die zuständigen Behörden der beiden Staaten nicht eine andere Bedeutung vereinbaren (Art. 25 Abs. 3 OECD-MA), ist die Bedeutung maßgebend, die dem Begriff im Anwendungszeitraum nach dem Recht des Anwenderstaates zukommt (Art. 3 Abs. 2 OECD-MA). In Deutschland sind die Vorschriften der §§ 1 und 2 LStDV einschlägig. Zur Abgrenzung selbständiger von nichtselbständiger Arbeit wird auf H 19.0 bis H 19.2 LStH verwiesen. Im Falle einer unterschiedlichen Auslegung der Begriffe durch die Vertragsstaaten (Qualifikationskonflikt) ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG zu prüfen (s. Tz. 2.4, Rn. 85).
1.2.2.2
Grenzgängerregelung
29
Abweichend vom OECD-MA enthalten einzelne DBA besondere Regelungen für grenzüberschreitend Beschäftigte. Dies sind derzeit [Stand 2023] die DBA mit Frankreich (Art. 13 Abs. 5 – i. d. R. Besteuerung im Ansässigkeitsstaat), Österreich (Art. 15 Abs. 6 – i. d. R. Besteuerung im Ansässigkeitsstaat) und der Schweiz (Art. 15a – begrenzte Quellenbesteuerung im Tätigkeitsstaat und Besteuerung im Ansässigkeitsstaat (in Deutschland mit Anrechnung begrenzter Quellensteuer)).
1.2.2.3
Besondere Regelungen bezüglich der Zuweisung des Besteuerungsrechts
30
Das OECD-MA bzw. die einzelnen DBA enthalten für bestimmte Arbeitnehmer, bestimmte Vergütungen bzw. bestimmte Tätigkeiten vonOECD-MA abweichende Regelungen, insbesondere für das für die Geschäftsführung eines Unternehmens verantwortliche Personal (s. Tz. 6.1, Rn. 353), für Künstler und Sportler (Art. 17 OECD-MA), für Ruhegehaltszahlungen (Art. 18 OECD-MA), für Arbeitnehmer der Gebietskörperschaften (Art. 19 OECD-MA, teilweise auch für weitere öffentlich-rechtliche Körperschaften (z. B. Art. 19 Abs. 1 DBA-Schweiz) sowie für Vergütungen, die im Rahmen eines Programms der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eines Vertragsstaates gezahlt werden (z. B. Art. 19 Abs. 3 DBA-Indonesien), für Studenten, Schüler, Lehrlinge und sonstige Auszubildende (Art. 20 OECD-MA), für Hochschullehrer und Lehrer (z. B. Art. 21 DBA-Italien, Art. 20 DBA-Österreich, Art. 20 DBA-USA) sowie für Mitglieder diplomatischer Missionen und konsularischer Vertretungen (Art. 28 OECD-MA). Diese Regelungen gehen i. d. R. Art. 15 OECD-MA bzw. der entsprechenden Vorschriften im anzuwendenden DBA vor.
31
Darüber hinaus enthalten einzelne DBA sog. Förderstaatsklauseln (z. B. Art. 17 Abs. 3 DBA-Vereinigtes Königreich, Art. 17 Abs. 3 DBA-Luxemburg, Art. 17 Abs. 3 DBA-Spanien). Danach ist die Besteuerung von Renten und Ruhegehältern in der Auszahlungsphase davon abhängig, in welchem Vertragsstaat eine Förderung in der Aufbauphase erfolgte.
1.2.2.4
Vergütungen eines Mitunternehmers für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft
32
Vergütungen, die ein Gesellschafter (Mitunternehmer) einer Personengesellschaft für seine Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft bezieht (Tätigkeitsvergütung; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz EStG), gehören für Deutschland als Anwenderstaat zu den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA, § 50d Abs. 10 EStG), unabhängig davon, ob es sich um Vergütungen des im Inland ansässigen Gesellschafters einer ausländischen Personengesellschaft oder um Vergütungen des im Ausland ansässigen Gesellschafters einer inländischen Personengesellschaft handelt. Dies gilt nicht für Vergütungen, die insbesondere für eine Tätigkeit bei einer gewerblich geprägten Personengesellschaft gezahlt werden (§ 50d Abs. 10 Satz 7 Nr. 1 EStG, BMF-Schreiben vom 26. September 2014, BStBl I S. 1258, Tz. 5.1).
33
Einzelne DBA enthalten auch eine Regelung, die Tätigkeitsvergütungen bereits abkommensrechtlich den Unternehmensgewinnen zuweisen, wenn diese Vergütungen nach dem Steuerrecht des Vertragsstaats, in dem die Betriebsstätte der gewerblich tätigen Personengesellschaft liegt, den Einkünften des Gesellschafters aus dieser Betriebsstätte zugerechnet werden (z. B. Art. 7 Abs. 7 DBA-Österreich, Art. 7 Abs. 7 DBA-Schweiz, BMF-Schreiben vom 26. September 2014, BStBl I S. 1258, Tz. 5.2).
34
Eine Zuordnung von Tätigkeitsvergütungen zu den Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA) scheidet aus, wenn eine Personenhandelsgesellschaft oder eine Partnerschaftsgesellschaft zur Körperschaftsbesteuerung optiert hat. Soweit ein Dienstverhältnis (§ 1 LStDV) vorliegt und die Leistungen der Gesellschaft an den Gesellschafter aufgrund dieses Dienstverhältnisses erbracht werden, führen die Vergütungen zu Einkünften i. S. des § 19 EStG (§ 1a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 KStG, BMF-Schreiben vom 10. November 2021, BStBl I S. 2212, Rn. 81 ff.). Abkommensrechtlich liegen i. d. R. dann Einkünfte i. S. des Art. 15 OECD-MA vor.
1.2.3
Vermeidung der Doppelbesteuerung – Art. 23 OECD-MA
35
Soweit das Besteuerungsrecht nach dem DBA dem anderen Vertragsstaat zusteht, vermeidet Deutschland als Ansässigkeitsstaat bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit die Doppelbesteuerung i. d. R. durch Freistellung der Einkünfte (Freistellungsmethode) unter Berücksichtigung des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG (Progressionsvorbehalt). Die Steuerfreistellung setzt allerdings i. d. R. die ausländische Besteuerung voraus. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zu § 50d Abs. 8 bzw. 9 EStG und zu den Rückfallklauseln in den DBA verwiesen (s. Tz. 2.3, Rn. 59 ff., Tz. 2.4, Rn. 83 ff. und Tz. 9, Rn. 418 ff.).
36
Nach einzelnen DBA werden die Einkünfte nicht von der Besteuerung freigestellt. Stattdessen wird die Doppelbesteuerung durch Steueranrechnung nach Maßgabe des § 34c EStG vermieden (Anrechnungsmethode). Dies gilt u. a. für Fälle der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung (z. B. DBA mit Dänemark, Frankreich, Italien, Norwegen, Polen oder Schweden) oder für Vergütungen des Bordpersonals von Schiffen und Luftfahrzeugen (s. Tz. 8.2, Rn. 410, 411, 415). In einigen Fällen sehen DBA grundsätzlich die Anrechnungsmethode vor (z. B. Art. 23 Abs. 1 Buchstabe b Doppelbuchstabe ee DBA-Liechtenstein, Art. 23 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Mauritius, Art. 23 Abs. 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc DBA-Norwegen, Art. 22 Abs. 1 DBA-Zypern). Bei Einkünften aus unselbständiger Arbeit bestehen keine Bedenken, aus Billigkeitsgründen für die voraussichtlich abzuführende ausländische Abzugsteuer einen Freibetrag für das Lohnsteuerabzugsverfahren zu bilden. Der Freibetrag darf jedoch die Einnahmen, die unter die Anrechnungsmethode fallen, nicht übersteigen. Zu den Einzelheiten dieser Billigkeitsregelung s. Tz. 4.3.4.2, Rn. 207.
37
Ist Deutschland der Ansässigkeitsstaat und wird dem ausländischen Vertragsstaat in der Verteilungsnorm ein ausschließliches Besteuerungsrecht zugewiesen, wird die Doppelbesteuerung für diese Einkünfte regelmäßig durch Freistellung (mit Progressionsvorbehalt) vermieden, auch wenn das DBA im Methodenartikel grundsätzlich die Anrechnungsmethode vorsieht (z. B. Art. 22 Abs. 1 und 2 i. V. m. Art. 14 Abs. 4 DBA-Zypern). Dies schließt jedoch nicht die Anwendung von Rückfallklauseln aus (s. Tz. 2.3, Rn. 59 ff., Tz. 2.4, Rn. 83 ff. und Tz. 9, Rn. 418 ff.).
38
Eine besondere Regelung enthält Punkt 11 des Schlussprotokolls zu Art. 23 DBA-Belgien i. d. F. des Zusatzabkommens von 2002. Im Hinblick auf die von belgischen Gemeinden und Agglomerationen erhobene Zusatzsteuer wird die in Deutschland auf Einkünfte nach Art. 15 oder 19 DBA-Belgien erhobene Einkommensteuer pauschal um 8 % der auf die betreffenden Einkünfte erhobene deutsche Einkommensteuer gemindert. Die nach dieser Minderung verbleibende deutsche Einkommensteuer ist Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer und den Solidaritätszuschlag. Die pauschale Minderung erfolgt nur, soweit Belgien als Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers anzusehen ist, Deutschland als Quellenstaat für die der deutschen Steuer zugrundeliegenden Einkünfte nach Art. 15 oder 19 DBA-Belgien das Besteuerungsrecht hat und Belgien diese Einkünfte grundsätzlich nach Art. 23 Abs. 2 Nr. 1 DBA-Belgien freistellt. Unterfallen die Einkünfte aus unselbständiger Arbeit, für die Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht, einem anderen Artikel, z. B. Art. 16 DBA-Belgien, greift die vorgenannte Minderung nicht.
39
Die Anrechnung ausländischer Steuern entsprechend § 36 EStG stellt eine Ausnahme dar (z. B. Art. 15a Abs. 3 Buchstabe a DBA-Schweiz, Grenzgängerregelung).
1.2.4
Abgrenzung zu anderen Abkommen und Bestimmungen
40
Vor Anwendung eines DBA sind weitere zwischenstaatliche Abkommen bzw. Vereinbarungen zu beachten, nach denen u. a. Arbeitnehmer von deutschen Steuern befreit sein können (z. B. bei Tätigkeiten für die EU, UNO oder NATO). Der jährlich erscheinende „Fundstellennachweis B“ des BGBl. enthält die von Deutschland und seinen Rechtsvorgängern abgeschlossenen und noch geltenden völkerrechtlichen Vereinbarungen, die insbesondere im BGBl. und Bundesanzeiger veröffentlicht wurden.
41
Z. B. unterliegen nach Art. 12 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der EU (Amtsblatt der EU C 202 vom 7. Juni 2016, S. 266-272 – EU-Privilegienprotokoll [Protokoll (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiung der EU]) Gehälter, Löhne und andere Bezüge, welche die EU ihren eigenen Beamten und sonstigen Bediensteten zahlt und von denen die EU eine EU-interne Steuer erhebt (EU-Verordnung Nr. 260/68 vom 29. Februar 1968, Amtsblatt der EU L 56 vom 4. März 1968, S. 8-10), nicht der nationalen Steuer in den EU-Mitgliedstaaten. Soweit Einkünfte danach in Deutschland freizustellen sind, unterliegen sie nicht dem Progressionsvorbehalt gemäß § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG, weil das EU-Privilegienprotokoll keinen entsprechenden Vorbehalt vorsieht. Vergütungen für eine Tätigkeit bei einem Organ bzw. einer Einrichtung der EU oder im Rahmen eines EU-Projektes, die an Personen gezahlt werden, die keine EU-Beamten oder sonstigen Bediensteten der EU sind (z. B. nationale Sachverständige), fallen i. d. R. nicht unter eine unionsrechtliche Befreiungsvorschrift. Hier ist regelmäßig die Anwendung eines DBA zu prüfen (s. BMF-Schreiben vom 12. April 2006, BStBl I S. 340, zur steuerlichen Behandlung des EU-Tagesgeldes).
2
Besteuerung im Inland
2.1
Steuerpflicht nach dem Einkommensteuergesetz
42
Steuerliche Sachverhalte mit Auslandsbezug, die nach dem innerstaatlichen Recht der Besteuerung im Inland unterliegen, können nur dann uneingeschränkt besteuert werden, wenn ein jeweils anzuwendendes DBA das deutsche Besteuerungsrecht nicht ganz oder teilweise ausschließt oder das dem Ausland zugewiesene Besteuerungsrecht nach innerstaatlichem Recht an Deutschland zurückfällt (s. Tz. 2.3, Rn. 59 ff., Tz. 2.4, Rn. 83 ff., Tz. 9, Rn. 418 ff.).
43
Hat ein Arbeitnehmer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, unterliegt er als unbeschränkt Steuerpflichtiger grundsätzlich mit seinem gesamten Welteinkommen der inländischen Besteuerung (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 EStG).
44
Fehlt es sowohl an einem Wohnsitz als auch an einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist ein Arbeitnehmer, der inländische Einkünfte i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG erzielt, grundsätzlich nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig. Die Erzielung inländischer Einkünfte nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist allein vom dort definierten inländischen Anknüpfungspunkt und nicht von einem Mindestaufenthalt im Inland abhängig.
45
Auf die unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2 und 3 EStG sowie § 1a EStG wird hingewiesen. Für EU-/EWR-Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Schweiz wird auf das BMF-Schreiben vom 16. September 2013, BStBl I S. 1325 verwiesen.
Der in Dänemark wohnhafte Arbeitnehmer A ist für den in Flensburg ansässigen Arbeitgeber B tätig. A übt seine Tätigkeit zu 60 % in Deutschland und zu 40 % in Dänemark aus. Die in Dänemark ausgeübte Tätigkeit wird nicht in Deutschland verwertet.
Lösung:
Soweit A seine Tätigkeit im Inland ausübt, erzielt er inländische Einkünfte i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG. Nur für den auf diese Tätigkeit entfallenden Arbeitslohn besteht eine beschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG.
47
Der Arbeitnehmer kann ggf. bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach § 1 Abs. 3 EStG auf Antrag als unbeschränkt Steuerpflichtiger behandelt werden und zusätzliche Vergünstigungen gemäß § 1a EStG in Anspruch nehmen.
48
Besteht während eines Kj. sowohl unbeschränkte als auch beschränkte Einkommensteuerpflicht, so sind die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht einzubeziehen (§ 2 Abs. 7 Satz 3 EStG). Die materiell-rechtliche Behandlung der jeweiligen Einkunftsteile bleibt hiervon unberührt.
2.2
Progressionsvorbehalt
49
Hat ein zeitweise oder während des gesamten VZ unbeschränkt Steuerpflichtiger oder ein beschränkt Steuerpflichtiger, auf den § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG Anwendung findet, ausländische Einkünfte, die im VZ nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben, oder Einkünfte, die nach einem DBA oder nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen steuerfrei sind, oder in den Fällen von § 1 Abs. 3, § 1a oder § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG Einkünfte, die nicht der deutschen Einkommensteuer oder einem Steuerabzug unterliegen, so ist für diese Einkünfte entsprechend den nachfolgenden Grundsätzen der Progressionsvorbehalt anzuwenden:
50
Bei einer im VZ nur zeitweise bestehenden unbeschränkten Steuerpflicht sind die ausländischen Einkünfte, die vom deutschen Steuerrecht nicht erfasst werden und damit im VZ nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben, in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).
51
Einkünfte, die nach einem DBA in Deutschland steuerfrei sind, unterliegen dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG. Die Vorschrift ist unabhängig davon anzuwenden, ob ein DBA Deutschland als Ansässigkeits‑ oder Quellenstaat ein Besteuerungsrecht mit Progressionsvorbehalt einräumt. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts setzt lediglich voraus, dass ein DBA die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts nicht verbietet (BFH-Urteil vom 14. Juli 2010, BStBl II 2011 S. 628). Eine Freistellung ist aber nur dann zu gewähren, wenn weder nach DBA (s. Tz. 9, Rn. 418 ff.) noch nach innerstaatlichem Recht (z. B. § 50d Abs. 8 bzw. 9 EStG) eine Rückfallklausel anzuwenden ist (s. Tz. 2.3, Rn. 59 ff. und Tz. 2.4, Rn. 83 ff.).
52
Zu beachten ist, dass der nach § 32b Abs. 1 Satz 2 EStG angeordnete Ausschluss des Progressionsvorbehalts lediglich für Fälle des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG gilt und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht betrifft.
53
Einkünfte, die nach einem sonstigen zwischenstaatlichen Übereinkommen steuerfrei sind (vgl. Tz. 1.2.4, Rn. 40 ff.), werden nach § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG in den Progressionsvorbehalt einbezogen, wenn in dem jeweiligen Übereinkommen die Anwendung des Progressionsvorbehalts ausdrücklich zugelassen worden ist.
54
Bei Arbeitnehmern, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, ist in den Fällen der Veranlagung gemäß § 1 Abs. 3, § 1a und § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 EStG zu beachten, dass die nicht der deutschen Einkommensteuer oder dem Steuerabzug unterliegenden Einkünfte grundsätzlich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen sind (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 EStG).
55
Die Höhe der Einkünfte, die dem Progressionsvorbehalt unterliegen, ist nach deutschem Steuerrecht zu ermitteln (BFH-Urteile vom 20. September 2006, BStBl II 2007 S. 756 und vom 11. Februar 2009, BStBl II 2010 S. 536). Dies bedeutet, dass beispielsweise Werbungskostenpauschalen oder Steuerbefreiungsvorschriften nach ausländischem Recht nicht zu berücksichtigen sind. Die steuerfreien Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit i. S. des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 EStG sind als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu berechnen.
56
Bei der Ermittlung der Einkünfte i. S. des § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 EStG
- ist der Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG) abzuziehen, soweit er nicht bei der Ermittlung der inländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar ist (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a EStG);
- sind Werbungskosten nur insoweit zu berücksichtigen, als sie zusammen mit den bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abziehbaren Werbungskosten den Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG) übersteigen (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b EStG, s. H 32b „Ausländische Einkünfte“ – EStH).
Der inländische steuerpflichtige Arbeitslohn im Kj. beträgt 20.230 €; die Werbungskosten betragen 500 €. Der nach DBA unter Progressionsvorbehalt steuerfreie Arbeitslohn beträgt 10.000 €; im Zusammenhang mit der Erzielung des steuerfreien Arbeitslohns sind Werbungskosten i. H. v. 400 € tatsächlich angefallen.
Lösung:
Inländischer steuerpflichtiger Arbeitslohn
| 20.230 € |
./.
| Werbungskosten im Zusammenhang mit steuerpflichtigem Arbeitslohn, mindestens Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG) |
./. 1.230 €
|
Steuerpflichtige Einkünfte gemäß § 19 EStG
| 19.000 € |
|
Ausländische dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einnahmen
| 10.000 € |
./.
| Gesamtwerbungskosten abzgl. bereits in Anspruch genommener Arbeitnehmer-Pauschbetrag oder abzgl. tatsächliche inländische Werbungskosten, sofern diese höher sind als der Arbeitnehmer-Pauschbetrag | |
Für den Progressionsvorbehalt maßgebende Einkünfte (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG)
| |
Sachverhalt wie Beispiel 1 (Werbungskosten Inland 500 €), jedoch sind im Zusammenhang mit der Erzielung des steuerfreien Arbeitslohns tatsächlich Werbungskosten i. H. v. 800 € angefallen. Die Summe der tatsächlichen Werbungskosten beträgt somit 1.300 €. Sie überschreitet den Arbeitnehmer-Pauschbetrag um 70 €.
Inländischer steuerpflichtiger Arbeitslohn
| 20.230 € |
./.
| Werbungskosten im Zusammenhang mit steuerpflichtigem Arbeitslohn, mindestens Arbeitnehmer-Pauschbetrag (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a EStG) |
./. 1.230 € |
Steuerpflichtige Einkünfte gemäß § 19 EStG
| 19.000 € |
|
Ausländische dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einnahmen
| 10.000 € |
./.
| Gesamtwerbungskosten | 1.300 € | |
| abzgl. bereits bei den stpfl. Einkünften in Anspruch genommener Arbeitnehmer-Pauschbetrag | | |
| oder abzgl. tatsächlicher inländischer Werbungskosten, sofern
diese höher sind als der Arbeitnehmer-Pauschbetrag | 70 € |
Für den Progressionsvorbehalt maßgebenden Einkünfte (§ 32b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG)
| |
2.3
Anwendung des § 50d Abs. 8 EStG
2.3.1
Anwendungsbereich
59
Bei Einkünften oder Einkunftsteilen aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG), die nach einem DBA in einem ausländischen Staat besteuert werden können, wird die unter Progressionsvorbehalt (§ 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG) erfolgende Freistellung von der deutschen Steuer eines unbeschränkt Steuerpflichtigen bei der Einkommensteuerveranlagung nach der Regelung des § 50d Abs. 8 EStG nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. Der Steuerpflichtige muss für die nach DBA vorgesehene Freistellung nachweisen, dass die in dem ausländischen Staat festgesetzten Steuern entrichtet wurden oder dass dieser Staat auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat. Die Regelung des § 50d Abs. 8 EStG ist nicht anzuwenden, soweit das anzuwendende DBA das Besteuerungsrecht an Deutschland zurückverweist, weil der ausländische Staat von dem ihm zugewiesenen Besteuerungsrecht insoweit keinen Gebrauch macht (z. B. Art. 13 Abs. 2 DBA-Frankreich, Art. 15 Abs. 4 DBA-Österreich, Art. 15 Abs. 3 und 4 DBA-Schweiz) oder die Besteuerung von der Überweisung der Einkünfte in den Tätigkeitsstaat abhängig macht (z. B. Art. 29 DBA-Irland, Art. 24 DBA-Vereinigtes Königreich). Die im jeweiligen DBA enthaltenen Rückfallklauseln (s. Tz. 9, Rn. 418 ff.) gehen grundsätzlich den nationalen Rückfallklauseln vor (§ 2 Abs. 1 AO, BMF-Schreiben vom 20. Juni 2013, BStBl I S. 980, Tz. 1).
60
Die Anwendung des § 50d Abs. 8 EStG erfordert nicht, dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat anzusehen ist, sondern knüpft allein an die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland an. § 50d Abs. 8 EStG ist auch anzuwenden, wenn sich die Freistellung nicht aus dem Methodenartikel, sondern bereits aus der Verteilungsnorm ergeben sollte. § 50d Abs. 8 EStG wird nicht durch ein zeitlich nachfolgendes DBA überschrieben (BFH-Urteil vom 25. Mai 2016, BStBl II 2017 S. 1185).
2.3.2
Nachweispflicht
61
Aufgrund seiner erhöhten Mitwirkungspflicht gemäß § 90 Abs. 2 AO bei Auslandssachverhalten hat der Steuerpflichtige nachzuweisen, dass seine Einkünfte im Ausland (ggf. in einem anderen VZ) der Besteuerung unterworfen wurden bzw. werden oder dass der Staat, dem nach dem DBA das Besteuerungsrecht zusteht, auf dieses Besteuerungsrecht verzichtet hat (s. Tz. 2.3.2.2, Rn. 68).
62
Bei der Anforderung und Prüfung von Nachweisen sind die objektiven Umstände des Einzelfalles und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
63
Die Nachweispflicht gemäß § 50d Abs. 8 EStG besteht erst im Veranlagungsverfahren. Sie gilt nicht für das Lohnsteuerabzugsverfahren (s. BMF-Schreiben vom 14. März 2017, BStBl I S. 473). Das Betriebsstättenfinanzamt kann daher unverändert auf Antrag des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers (§ 38 EStG) ein Lohnsteuerabzugsmerkmal erteilen (§ 39 Abs. 4 Nr. 5 EStG). In der Bescheinigung über die Freistellung des Arbeitslohns vom Steuerabzug aufgrund eines DBA ist ein Hinweis auf die abschließende Prüfung im Rahmen der Veranlagung enthalten.
2.3.2.1
Besteuerung im ausländischen Staat
2.3.2.1.1
Ermittlung und Nachweis der Höhe der Einkünfte
64
Die Einkünfte i. S. des § 50d Abs. 8 EStG sind nach den Vorschriften des deutschen Steuerrechts zu ermitteln. Aufgrund der unterschiedlichen Steuersysteme und Begriffsbestimmungen können sich bei den der ausländischen und deutschen Besteuerung zugrunde gelegten Einkünften Abweichungen ergeben. Diese können u. a. entstehen, weil der ausländische Staat ein vom Kj. abweichendes Steuerjahr (s. Tz. 4.2.5, Rn. 128 ff.) hat oder Sachverhalte zeitlich abweichend von den Regelungen des deutschen Rechts erfasst. Daneben können Abweichungen aus der Definition der Begriffe „Arbeitslohn“ und „Werbungskosten“, aus der Zuordnung von Bezügen zu steuerpflichtigen oder steuerfreien Einnahmen, der Bewertung von Sachbezügen und nachträglichen Bonuszahlungen oder der Behandlung von Altersteilzeitmodellen resultieren.
65
Soweit der Steuerpflichtige die Ursachen eventueller Abweichungen glaubhaft macht (z. B. Kopie der ausländischen Steuererklärung/en und/oder Steuerbescheid/e, Berechnungsschema/ta), gilt der Nachweis über die Höhe der Einkünfte für den jeweiligen VZ als erbracht.
2.3.2.1.2
Nachweis über die Festsetzung und Entrichtung der Steuern
66
Der Nachweis über die Entrichtung der festgesetzten Steuern ist grundsätzlich durch Vorlage des Steuerbescheids der ausländischen Behörde und des Zahlungsbelegs (Überweisungs‑ bzw. Einzahlungsbeleg der Bank oder Finanzbehörde) zu erbringen. Sofern der andere Staat ein Selbstveranlagungsverfahren vorsieht und daher keinen Steuerbescheid erlässt (z. B. USA), reicht die Vorlage des Zahlungsbelegs und einer Kopie der Steuererklärung aus.
67
Wenn der Steuerpflichtige aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, die zuvor genannten Nachweise zu erbringen, oder in Fällen, in denen ein Quellen‑ oder Lohnsteuerabzug mit Abgeltungswirkung im anderen Staat vorgenommen wird (z. B. Italien, Österreich, Spanien) und somit keine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt oder diese Einkünfte wegen des Steuerabzugs nicht in die Veranlagung einbezogen werden, kann die tatsächliche Besteuerung im anderen Staat durch eine behördliche Bescheinigung oder eine Bescheinigung des zivilrechtlichen oder wirtschaftlichen Arbeitgebers (s. Tz. 4.3.3.3, Rn. 151 ff.) über den Steuerabzug (z. B. Quellen‑ oder Lohnsteuerbescheinigung, ausländische Gehaltsabrechnungen mit Ausweis der abgeführten Quellensteuern) nachgewiesen werden. Dabei ist die ausländische Finanzbehörde, an die die Quellen‑ oder Lohnsteuer abgeführt wurde, und die dortige Steuer‑ oder Ordnungsnummer zu benennen. Darüber hinaus müssen aus der Bescheinigung insbesondere die Höhe der im jeweiligen VZ zugeflossenen Einnahmen, die vom Arbeitgeber abgeführten Steuern, einschließlich der dafür maßgeblichen steuerpflichtigen Einkünfte (steuerliche Bemessungsgrundlage) und der Zeitraum der Tätigkeit im Ausland hervorgehen. Eine tatsächliche Besteuerung im anderen Staat ist auch dann anzunehmen, wenn eine pauschale Steuer abgeführt wurde, die der Arbeitgeber getragen hat.
2.3.2.2
Verzicht des ausländischen Staates auf sein Besteuerungsrecht
68
Wenn der ausländische Staat auf das ihm zugewiesene Besteuerungsrecht verzichtet, hat der Steuerpflichtige Unterlagen vorzulegen, aus denen sich der Verzicht ergibt. Es kann sich hierbei um einen Verzicht gegenüber Einzelpersonen, bestimmten Personengruppen oder um einen generellen Verzicht handeln (z. B. Erlass, Steuerbefreiung, genereller Verzicht auf die Steuererhebung, völkerrechtlicher Vertrag).
69
Der Eintritt der Festsetzungsverjährung im ausländischen Staat ist kein Verzicht i. S. des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG (BFH-Urteil vom 10. Oktober 2018, BFH/NV 2019, 394).
70
In Staaten, in denen generell auf die Erhebung von Ertragsteuern verzichtet wird (z. B. VAE (DBA-VAE anzuwenden bis 31. Dezember 2021) und Kuwait) ist von einem Nachweis über den Verzicht des ausländischen Staates auf das Besteuerungsrecht abzusehen, sofern die Ausübung der Tätigkeit in einem dieser Staaten nachgewiesen wurde (z. B. Arbeitgeberbescheinigung oder Reisekostenabrechnung).
2.3.3
Entwicklungszusammenarbeit
2.3.3.1
Besteuerungsrecht des Kassenstaates (Deutschland)
71
Sofern Vergütungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gezahlt werden, ist zunächst zu prüfen, ob das anzuwendende DBA durch die Kassenstaatsklausel (Art. 19 Abs. 1 OECD-MA) oder eine sog. Entwicklungshilfeklausel (z. B. Art. 19 Abs. 3 DBA-Bangladesch, Art. 18 Abs. 2 DBA-Bolivien, Art. 18 Abs. 2 DBA-Ecuador, Art. 19 Abs. 4 DBA-Indien, Art. 19 Abs. 3 DBA-Indonesien, Art. 19 Abs. 3 DBA-Pakistan) Deutschland als Kassenstaat das Besteuerungsrecht zuweist und damit eine Anwendung des § 50d Abs. 8 EStG insoweit ausscheidet.
72
Bei DBA mit Entwicklungshilfeklausel können Vergütungen, die im Rahmen eines Entwicklungshilfeprogramms eines Vertragsstaats aus Mitteln, die ausschließlich von diesem Staat bereitgestellt werden, an Fachkräfte oder freiwillige Helfer gezahlt werden, die in den anderen Vertragsstaat mit dessen Zustimmung entsandt worden sind, nur im erstgenannten Staat (Kassenstaat) besteuert werden (BFH-Urteil vom 7. Juli 2015, BStBl II 2016 S. 14, vgl. auch BMF-Schreiben vom 13. November 2019, BStBl I S. 1082).
73
Auf die Notifizierungsverordnung DBA-Türkei vom 27. Februar 2019 (BStBl I 2019 S. 209), wonach unter das geltende Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Türkei über die technische Zusammenarbeit vom 16. Juni 1970 in der Änderungsfassung vom 15. Dezember 1977 fallende Einkünfte, die trotz Besteuerungsrecht nach Art. 15 DBA-Türkei von der Republik Türkei nicht besteuert werden können, in Deutschland durch einen Wechsel von der Freistellungs‑ zur Anrechnungsmethode zu besteuern sind, wird hingewiesen.
2.3.3.2
Besteuerungsrecht des Tätigkeitsstaates/Freistellung im Tätigkeitsstaat
74
Soweit Arbeitnehmer im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aufgrund von zwischenstaatlichen oder diesen vergleichbaren Abkommen oder Vereinbarungen in dem jeweiligen ausländischen Staat von der Steuer befreit sind (Verzicht auf das Besteuerungsrecht), ist dies durch geeignete Unterlagen nachzuweisen.
75
Als Nachweis ist dabei eine Bescheinigung des jeweiligen Arbeitgebers i. V. m. einem Auszug aus dem geltenden Abkommen (Rahmenabkommen zur technischen oder finanziellen Zusammenarbeit, Abkommen zu Entwicklungszusammenarbeit) bzw. der Vereinbarung anzuerkennen (vgl. Anlage 1). Der Besteuerungsverzicht des ausländischen Staates in diesen zwischenstaatlichen oder diesen vergleichbaren Abkommen oder Vereinbarungen wird i. d. R. auf die Mittel beschränkt, die aus inländischen öffentlichen Kassen gezahlt werden. Soweit auch Zahlungen von dritter Seite in den Vergütungen enthalten sind und diese unversteuert bleiben, ist hierfür die Vorlage eines gesonderten Nachweises des Besteuerungsverzichts bzw. der Besteuerung erforderlich (s. Tz. 2.3.2.1, Rn. 64 ff.).
76
Arbeitgeber sind Organisationen und Firmen, die direkt oder indirekt durch die Bundesregierung, Landesregierungen oder andere deutsche staatliche Stellen mit der Durchführung personeller Leistungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit beauftragt worden sind. Weitere Auftraggeber sind z. B. die Europäische Union, internationale Finanzierungsinstitute und Regierungen anderer Staaten.
2.3.4
Festsetzungsverfahren
2.3.4.1
Festsetzung im Falle eines fehlenden Nachweises
77
Soweit die nach Tz. 2.3.2, Rn. 61 ff. und Tz. 2.3.3.2, Rn. 74, 75 erforderlichen Nachweise nicht oder nicht vollständig vorgelegt werden, ist die Steuer unter Einbeziehung der betroffenen Einkünfte festzusetzen. Der Einkommensteuerbescheid ist gemäß § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zugunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, sobald die tatsächliche Besteuerung oder der Verzicht auf die Besteuerung im Ausland nachgewiesen wird. Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Jahres, in dem der Nachweis erbracht wird (§ 50d Abs. 8 Satz 3 EStG). Die Verzinsung richtet sich nach § 233a Abs. 1 und 2 AO.
2.3.4.2
Bagatellgrenze
78
Aus Vereinfachungsgründen ist die Freistellung von der deutschen Einkommensteuer unter Progressionsvorbehalt auch ohne das Erbringen von Nachweisen zu gewähren, wenn der maßgebende, nach deutschem Recht ermittelte Arbeitslohn, der nach einem oder mehreren DBA freizustellen wäre, in dem jeweiligen VZ insgesamt nicht mehr als 10.000 € beträgt. Diese Bagatellgrenze gilt nicht pro Staat, sondern insgesamt nur einmal je VZ.
79
Bei Ortskräften diplomatischer Vertretungen mit Staatsangehörigkeit der jeweiligen Staatenvertretung kann auf den Besteuerungsnachweis nach § 50d Abs. 8 EStG verzichtet werden. Die Ausführungen in der Tz. 2.4, Rn. 83 ff. zu § 50d Abs. 9 EStG bleiben unberührt.
2.3.5
Informationsaustausch
80
Auf das Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Informationsaustausch in Steuersachen vom 29. Mai 2019, BStBl I S. 480 (Amtshilfe-Merkblatt) wird hingewiesen.
81
Hat der Steuerpflichtige die Nachweise i. S. des § 50d Abs. 8 EStG erbracht, sind diesbezüglich weder Auskunftsersuchen zu stellen noch Spontanauskünfte zu erteilen.
82
Bestehen Zweifel hinsichtlich der Zahlung der im Ausland festgesetzten Steuer bzw. des Verzichts des ausländischen Staates auf sein Besteuerungsrecht, ist die Steuer unter Einbeziehung der betroffenen Einkünfte festzusetzen (s. Tz. 2.3.4.1, Rn. 77) und – vorbehaltlich einer innerstaatlichen Rechtsgrundlage – eine Spontanauskunft an den ausländischen Staat zu übermitteln. Entsprechendes gilt, soweit unklar ist, ob sämtliche steuerfrei zu stellenden Gehaltsbestandteile (z. B. Gratifikationen, Tantiemen, Urlaubsgeld) im ausländischen Staat zur Besteuerung herangezogen wurden. In diesen Fällen kann nach Tz. 3.1.2 des Amtshilfe-Merkblattes auf eine Anhörung des Steuerpflichtigen verzichtet werden, sofern die Informationen auf Angaben beruhen, die der Steuerpflichtige in einem Antrag oder einer Erklärung gemacht hat. Gleichwohl kann der Steuerpflichtige gegen die Übermittlung aufgrund seiner Angaben aus der Einkommensteuererklärung an den anderen Staat Einwendungen erheben (Tz. 3.2.1 des Amtshilfe-Merkblattes).
2.4
Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG
2.4.1
Anwendungsbereich
83
Bei Einkünften oder Einkunftsteilen, die nach einem DBA in einem ausländischen Staat besteuert werden können, wird bei einem unbeschränkt Steuerpflichtigen die Steuerfreistellung nach DBA unter den Voraussetzungen des § 50d Abs. 9 EStG nicht gewährt.
84
Die Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG erfordert nicht, dass Deutschland als Ansässigkeitsstaat anzusehen ist, sondern knüpft allein an die unbeschränkte Steuerpflicht im Inland an. § 50d Abs. 9 EStG ist auch anzuwenden, wenn sich die Freistellung nicht aus dem Methodenartikel, sondern aus der (abschließenden) Verteilungsnorm ergibt.
85
Fällt das Besteuerungsrecht nicht bereits nach einer Bestimmung des DBA an Deutschland zurück (vgl. Tz. 9, Rn. 418 ff.), sind nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG Einkünfte nicht freizustellen, soweit die Nichtbesteuerung oder niedrige Besteuerung im anderen Staat die Folge eines Qualifikationskonfliktes ist. Qualifikationskonflikte haben ihre Ursache in einer nicht übereinstimmenden Anwendung der Bestimmungen eines DBA durch die Vertragsstaaten, weil diese
- von unterschiedlichen Sachverhalten ausgehen,
- Abkommensbestimmungen unterschiedlich auslegen oder
- Abkommensbegriffe, die im DBA nicht definiert sind, nach ihrem nationalen Recht unterschiedlich auslegen (s. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA).
86
Soweit das Besteuerungsrecht nicht durch eine im DBA einschlägige Regelung an Deutschland zurückfällt (vgl. Tz. 9, Rn. 418 ff.), sind Einkünfte nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht von der Besteuerung auszunehmen, soweit im anderen Staat eine Nichtbesteuerung darauf zurückzuführen ist, dass sich dieser an der Ausübung seines DBA-Besteuerungsrechts durch sein innerstaatliches Recht, das diese Einkünfte ganz oder teilweise im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nicht erfasst, gehindert sieht. Eine Nichtbesteuerung i. S. dieser Vorschrift liegt auch vor, wenn Einkünfte oder Einkunftsteile nur deshalb im anderen Vertragsstaat besteuert werden, weil der Steuerpflichtige es versäumt hat, einen Antrag auf Erstattung der erstattungsfähigen Steuer zu stellen. § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG verhindert auch dann eine vom DBA angeordnete Steuerfreistellung, wenn der andere Vertragsstaat das ihm abkommensrechtlich zugewiesene Besteuerungsrecht an den Einkünften im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht nur für einen Teil der Einkünfte wahrnimmt.
2.4.2
Verhältnis zu anderen Rückfallklauseln
87
§ 50d Abs. 9 EStG kann auch dann zur Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Arbeit führen, wenn die Einkünfte nach § 50d Abs. 8 EStG oder einer DBA-Rückfallklausel steuerfrei belassen werden können. Die Regelungen des § 50d Abs. 8 und 9 EStG sind insoweit nebeneinander anzuwenden (§ 50d Abs. 9 Satz 3 EStG).
88
In den Fällen der Besteuerung von Einkunftsteilen, auf die eine DBA-Rückfallklausel anzuwenden ist, kommt es zu einem Rückfall des Besteuerungsrechts für den unversteuerten Teil der Einkünfte, selbst wenn die vorrangig anzuwendende DBA-Rückfallklausel konditional („wenn“) formuliert ist (§ 50d Abs. 9 Satz 4 EStG, s. Tz. 9, Rn. 418 ff.).
2.4.3
Nachweispflicht
89
Die Ausführungen zu den Nachweispflichten im Zusammenhang mit § 50d Abs. 8 EStG (s. Tz. 2.3.2.1.2, Rn. 66, 67) gelten für Einkünfte aus unselbständiger Arbeit entsprechend. Der Steuerpflichtige muss für die Freistellung regelmäßig nachweisen, dass seine ausländischen Einkünfte und Einkunftsteile im ausländischen Staat besteuert wurden und er die ausländischen Steuern entrichtet hat. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der ausländische Staat die Einkünfte, die er im ausländischen Staat erzielt hat, wegen der dortigen beschränkten Steuerpflicht nicht erfassen kann, die entsprechenden Einkünfte aber bei unbeschränkt Steuerpflichtigen ebenfalls nicht besteuert werden, ist § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 EStG nicht anzuwenden. In diesen Fällen bleibt es bei der Freistellung der ausländischen Einkünfte und Einkunftsteile von der deutschen Einkommensteuer.
90
Aus Vereinfachungsgründen kann im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens auf die Prüfung der Anwendung des § 50d Abs. 9 EStG verzichtet werden (s. Tz. III. des BMF-Schreibens vom 14. März 2017, BStBl I S. 473).
91
Sind Einkünfte nach § 50d Abs. 9 EStG nicht von der Besteuerung auszunehmen, sind § 34c Abs. 1 bis 3 sowie Abs. 6 Satz 6 EStG entsprechend anzuwenden (§ 34c Abs. 6 Satz 5 EStG).
K ist in Deutschland ansässig und sowohl bei seinem Arbeitgeber in Deutschland als auch bei einer Schwestergesellschaft in einem anderen DBA-Staat tätig. Im Jahr 01 hält sich K an 150 Tagen im anderen DBA-Staat auf. Der Arbeitslohn wird vom deutschen Arbeitgeber bezahlt und – soweit er auf die Tätigkeit im anderen DBA-Staat entfällt – der Schwestergesellschaft im anderen DBA-Staat weiterberechnet. Der Steuerberater beantragt die Freistellung des Arbeitslohns, der auf die Tätigkeit im anderen DBA-Staat entfällt, unter Hinweis auf Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b des DBA (wirtschaftlicher Arbeitgeber, s. Tz. 4.3.3.3, Rn. 151 ff.). Die Einkommensteuer im anderen DBA-Staat wird mit 0 € festgesetzt. Der Steuerberater weist nach, dass es im anderen DBA-Staat das Rechtsinstitut des wirtschaftlichen Arbeitgebers i. S. des DBA nicht gibt.
Lösung:
Die Höhe der im anderen DBA-Staat festgesetzten Steuer beträgt 0 €. Der Steuerpflichtige hat somit nachgewiesen, dass die festgesetzte Steuer „entrichtet“ wurde (§ 50d Abs. 8 Satz 1 zweite Alternative EStG). Nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG kann die Steuerfreistellung in Deutschland nicht gewährt werden, soweit der andere Staat die Bestimmungen des DBA so anwendet, dass die Einkünfte in diesem Staat von der Besteuerung auszunehmen sind.
Da die Nichtbesteuerung im anderen DBA-Staat ihre Ursache in einer nicht übereinstimmenden Anwendung von DBA-Bestimmungen hat (Qualifikationskonflikt), entfällt nach § 50d Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 EStG die Freistellung des Arbeitslohns.
2.5
Abzugsbeschränkungen
93
Gemäß § 3c Abs. 1 EStG dürfen Ausgaben, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, nicht als Werbungskosten abgezogen werden (z. B. Kosten für die Unterkunft im Ausland, Kosten für Sprachkurse, Fahrtkosten und Mehraufwendungen für Verpflegung). Sind Einkünfte aufgrund eines DBA freizustellen, sind regelmäßig nicht nur die Einnahmen, sondern auch die damit zusammenhängenden Werbungskosten von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2009, BStBl II 2010 S. 536). Darunter fallen sowohl laufende Werbungskosten, die durch steuerfreie Auslandseinkünfte veranlasst sind, als auch vorweggenommene Werbungskosten, die sich auf steuerfreie Auslandseinkünfte beziehen (BFH-Urteil vom 20. September 2006, BStBl II 2007 S. 756). Gleiches gilt für nachträgliche Werbungskosten.
94
Lassen sich die Werbungskosten nicht eindeutig zuordnen, sind diese nach den zu § 3c Abs. 1 EStG entwickelten Kriterien aufzuteilen. Hierbei sind die Werbungskosten den steuerfreien Einnahmen in dem Verhältnis zuzuordnen, in dem die steuerfreien Einnahmen zu den gesamten Einnahmen stehen, die der Steuerpflichtige im betreffenden Zeitraum bezogen hat (BFH-Urteil vom 26. März 2002, BStBl II S. 823). Eine Aufteilung der Werbungskosten nach den tatsächlichen Arbeitstagen scheidet damit grundsätzlich aus.
95
Vorsorgeaufwendungen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG, die mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, sind nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erster Halbsatz EStG grundsätzlich nicht als Sonderausgaben abziehbar. Sie mindern auch nicht die Höhe der im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigenden Einkünfte (BFH-Urteil vom 18. April 2012, BStBl II S. 721).
§ 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zweiter Halbsatz EStG regelt abweichend von diesem Grundsatz, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen entsprechende Vorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben zu berücksichtigen sind. Demnach sind Vorsorgeaufwendungen i. S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2, 3 und 3a EStG jeweils als Sonderausgaben abzugsfähig, soweit sie in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit stehen, die in einem Mitgliedstaat der EU, einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens oder in der Schweiz erzielt wurden, soweit diese Einnahmen nach einem DBA im Inland steuerfrei sind und soweit der Tätigkeitsstaat keinerlei steuerliche Berücksichtigung dieser Vorsorgeaufwendungen bei der Besteuerung dieser Einnahmen zulässt. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein.
96
Die Aufteilung der abziehbaren und nichtabziehbaren Vorsorgeaufwendungen hat im Verhältnis des steuerpflichtigen Arbeitslohns zum gesamten Arbeitslohn, unabhängig von der Beitragsbemessungsgrenze, zu erfolgen. Vergütungsbestandteile, die unabhängig von der Beitragsbemessungsgrenze nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen (z. B. Entlassungsabfindungen), sind nicht in die Verhältnisrechnung einzubeziehen. Die Verhältnisrechnung ist auch durchzuführen, wenn der steuerpflichtige Arbeitslohn im VZ die für die Beitragsberechnung maßgebende Beitragsbemessungsgrenze übersteigt.
97
Ein Arbeitnehmer kann während seiner Auslandstätigkeit ausschließlich dem Sozialversicherungsrecht des Ansässigkeits‑, des Tätigkeitsstaates oder dem Sozialversicherungsrecht beider Staaten unterworfen sein. Bei Letzterem unterliegt der Arbeitslohn sowohl dem Sozialversicherungsrecht des Ansässigkeitsstaates als auch dem Sozialversicherungsrecht des Tätigkeitsstaates. Dabei kann das jeweilige Sozialversicherungsrecht insbesondere eine verpflichtende Renten‑, Arbeitslosen‑ oder Krankenversicherung, aber auch Wahlrechte und freiwillige Versicherungen umfassen.
Vom Arbeitgeber geleistete Beiträge bzw. Zuschüsse zu einer Renten‑, Arbeitslosen‑ oder Krankenversicherung stellen regelmäßig Arbeitslohn dar.
Der im Inland wohnhafte Arbeitnehmer ist im Jahr 01 für seinen Arbeitgeber sowohl im Ansässigkeitsstaat als auch im ausländischen Tätigkeitsstaat tätig. Der auf den Ansässigkeitsstaat entfallende Arbeitslohnanteil beträgt brutto 25.000 €. Enthalten sind sowohl direkt als auch nicht direkt zuordenbare Lohnbestandteile. Die Steuer im Ansässigkeitsstaat beträgt 5.000 €. Sie wird vom Arbeitgeber nicht übernommen. Der auf den ausländischen Tätigkeitsstaat entfallende Arbeitslohnanteil beträgt brutto 50.000 €. Enthalten sind auch hier sowohl direkt als auch nicht direkt zuordenbare Lohnbestandteile. Die hierauf entfallende Steuer beläuft sich im Tätigkeitsstaat auf 10.000 €. Sie wird vom Arbeitgeber ebenfalls nicht übernommen. Der Sozialversicherungsbeitrag beträgt – bezogen auf das gesamte Kj. 15.000 €.
Die Lohnabrechnung sieht wie folgt aus:
|
Bruttoarbeitslohn Ansässigkeitsstaat
| 25.000 € |
Bruttoarbeitslohn Tätigkeitsstaat
| 50.000 € |
abzgl. Steuer Ansässigkeitsstaat
| 5.000 € |
abzgl. Steuer Tätigkeitsstaat
| 10.000 € |
abzgl. Sozialversicherungsbeitrag (einheitlich für das gesamte Kj.)
| 15.000 € |
Nettoauszahlungsbetrag
| |
Lösung:
Der Bruttoarbeitslohn wird abkommensrechtlich zu 1/3 dem Ansässigkeitsstaat und zu 2/3 dem ausländischen Tätigkeitsstaat zugerechnet. In diesem Verhältnis – 1/3 zu 2/3 – wird auch der Sozialversicherungsbeitrag verteilt (bezüglich der Abzugsbeschränkungen von Sonderausgaben im Zusammenhang mit steuerfreien Einkünften, s. Tz. 2.5, Rn. 95).
3
Besteuerung im Tätigkeitsstaat – Art. 15 Abs. 1 OECD-MA
99
Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA können die Vergütungen aus unselbständiger Arbeit ausschließlich im Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers besteuert werden, es sei denn, die Tätigkeit wird im anderen Staat ausgeübt (Tätigkeitsstaat). Wird die unselbständige Arbeit im anderen Staat ausgeübt, steht grundsätzlich diesem Staat auch ein Besteuerungsrecht für die Vergütungen zu, die für die im Ausland ausgeübte Tätigkeit bezogen werden (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA).
100
Der Ort der Arbeitsausübung ist grundsätzlich der Ort, an dem sich der Arbeitnehmer zur Ausführung seiner Tätigkeit tatsächlich persönlich aufhält (BFH-Urteil vom 25. November 2014, BStBl II 2015 S. 448). Unerheblich ist, woher oder wohin die Zahlung des Arbeitslohns geleistet wird oder wo der Arbeitgeber ansässig ist.
4
Besteuerung im Ansässigkeitsstaat – Art. 15 Abs. 2 OECD-MA
(sog. 183-Tage-Klausel)
4.1
Voraussetzungen
101
Abweichend von Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MA steht nach Art. 15 Abs. 2 OECD-MA dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers das ausschließliche Besteuerungsrecht für eine nicht in diesem Staat ausgeübte unselbständige Arbeit zu, wenn
- der Arbeitnehmer sich insgesamt nicht länger als 183 Tage innerhalb eines im jeweiligen DBA näher beschriebenen Zeitraums im Tätigkeitsstaat aufgehalten oder die Tätigkeit dort ausgeübt hat (s. Tz. 4.2, Rn. 105 ff.) und
- der Arbeitgeber, der die Vergütungen wirtschaftlich trägt oder hätte tragen müssen, nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist (s. Tz. 4.3, Rn. 141 ff.) und
- der Arbeitslohn nicht von einer Betriebsstätte, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat hat, wirtschaftlich getragen wurde oder zu tragen gewesen wäre (s. Tz. 4.4, Rn. 213 ff.).
102
Nur wenn alle drei Voraussetzungen zusammen vorliegen, steht dem Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers das Besteuerungsrecht für Vergütungen, die für eine im Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt werden, zu. Liegen dagegen nicht sämtliche Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 OECD-MA zusammen vor, steht nach Art. 15 Abs. 1 OECD-MA auch dem Tätigkeitsstaat ein Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus der vom Arbeitnehmer dort ausgeübten unselbständigen Arbeit zu. Für Tätigkeiten, die im Ansässigkeitsstaat ausgeübt werden, verbleibt das Besteuerungsrecht nach dem Grundsatz des Art. 15 Abs. 1 OECD-MA ausschließlich beim Ansässigkeitsstaat.
103
Nach dem DBA-Norwegen ist eine weitere Voraussetzung, dass der Arbeitgeber im selben Staat wie der Arbeitnehmer ansässig ist (Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b DBA-Norwegen).
104
Steht dem ausländischen Tätigkeitsstaat auch ein Besteuerungsrecht zu, sind die Vergütungen i. d. R. im Inland freizustellen und nur im Rahmen des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen (Ausnahme s. Tz. 1.2.3, Rn. 36). Dies gilt nicht, soweit eine DBA-Rückfallklausel, § 50d Abs. 8 oder 9 EStG anzuwenden ist (s. Tz. 2.3, Rn. 59 ff., Tz. 2.4, Rn. 83 ff. und Tz. 9, Rn. 418 ff.).
4.2
183-Tage-Frist – Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a OECD-MA
4.2.1
Ermittlung der Aufenthalts‑/Ausübungstage
105
Die in den DBA genannte 183-Tage-Frist bezieht sich häufig auf den Aufenthalt im Tätigkeitsstaat (s. Tz. 4.2.2). Nach einigen DBA ist jedoch die Dauer der Ausübung der unselbständigen Arbeit im Tätigkeitsstaat maßgebend (s. Tz. 4.2.3).
106
Abhängig vom anzuwendenden DBA kann sich die 183-Tage-Frist entweder auf das Steuerjahr, auf das Kj. oder auch auf einen Zeitraum von zwölf Monaten beziehen.
4.2.2
183-Tage-Frist – Dauer des Aufenthalts im Tätigkeitsstaat
107
Wird in einem DBA bei der 183-Tage-Frist auf den Aufenthalt im Tätigkeitsstaat abgestellt (z. B. Art. 13 Abs. 4 Nr. 1 DBA-Frankreich; Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Italien; Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Österreich), so ist hierbei nicht die Dauer der beruflichen Tätigkeit maßgebend, sondern allein die körperliche Anwesenheit im Tätigkeitsstaat. Es kommt darauf an, ob der Arbeitnehmer an mehr als 183 Tagen im Tätigkeitsstaat anwesend war. Dabei ist auch eine nur kurzfristige Anwesenheit an einem Tag als voller Aufenthaltstag im Tätigkeitsstaat zu berücksichtigen. Es muss sich nicht um einen zusammenhängenden Aufenthalt im Tätigkeitsstaat handeln; mehrere Aufenthalte im selben Tätigkeitsstaat sind zusammenzurechnen.
108
Als volle Tage des Aufenthalts im Tätigkeitsstaat werden u. a. mitgezählt:
- der Ankunfts‑ und Abreisetag,
- alle Tage der Anwesenheit im Tätigkeitsstaat unmittelbar vor, während und unmittelbar nach der Tätigkeit, z. B. Samstage, Sonntage, gesetzliche Feiertage,
- Tage der Anwesenheit im Tätigkeitsstaat während Arbeitsunterbrechungen, z. B. bei Streik, Aussperrung, Ausbleiben von Lieferungen oder Krankheit, es sei denn, die Krankheit steht der Abreise des Arbeitnehmers entgegen und er hätte ohne sie die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung im Tätigkeitsstaat erfüllt,
- Urlaubstage, die unmittelbar vor, während und nach oder in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit im Tätigkeitsstaat verbracht werden (s. Beispiel 3, Rn. 115).
109
Tage, die ausschließlich außerhalb des Tätigkeitsstaates verbracht werden, unabhängig davon, ob aus beruflichen oder privaten Gründen, werden nicht mitgezählt. Auch Tage des Transits in einem Durchreisestaat zählen nicht als Aufenthaltstage für diesen Staat (s. Beispiel 4, Rn. 116). Eine Ausnahme hiervon gilt für Berufskraftfahrer (s. Tz. 7.2, Rn. 383).
110
Kehrt der Arbeitnehmer täglich zu seinem Wohnsitz im Ansässigkeitsstaat zurück, so ist er täglich im Tätigkeitsstaat anwesend (BFH-Urteil vom 10. Juli 1996, BStBl II 1997 S. 15).
111
Zur Ermittlung der Aufenthaltstage nach dem DBA-Frankreich wird auf die Verständigungsvereinbarung mit Frankreich vom 16. Februar 2006 (BMF-Schreiben vom 3. April 2006, BStBl I S. 304 und § 6 KonsVerFRAV vom 20. Dezember 2010, BStBl I 2011 S. 104) verwiesen, wonach unter bestimmten Voraussetzungen bei mehrtägigen Dienstreisen grundsätzlich auch Sonn‑ und Feiertage, Urlaubs‑ und Krankheitstage sowie kurze Unterbrechungen im Zusammenhang mit Reisen in den Heimatstaat oder in Drittstaaten als Tage des Aufenthalts im Tätigkeitsstaat mitgezählt werden.
112
Bei Arbeitnehmern, die – ohne Grenzgänger i. S. des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich zu sein – arbeitstäglich in den Tätigkeitsstaat fahren und nach Erbringung der Arbeitsleistung wieder in den Wohnsitzstaat zurückkehren (sog. Grenzpendler), ist jedoch auf die tatsächlich im anderen Staat verbrachten Tage abzustellen (BFH-Urteil vom 12. Oktober 2011, BStBl II 2012 S. 548). Beim Grenzpendler zählt jeder einzelne Tätigkeitstag als ein abgeschlossener Aufenthaltstag. Ein sich über mehrere Arbeitstage oder Wochen erstreckender Aufenthalt im anderen Staat liegt nicht vor.
113
Beispiel 1: Zu Wochenendheimfahrten
A ist für seinen deutschen Arbeitgeber mehrere Monate lang jeweils von Montag bis Freitag in den Niederlanden tätig. Seine Wochenenden verbringt er bei seiner Familie in Deutschland. Dazu fährt er an jedem Freitag nach Arbeitsende nach Deutschland. Er verlässt Deutschland jeweils am Montagmorgen, um in den Niederlanden seiner Berufstätigkeit nachzugehen.
Lösung:
Die Tage von Montag bis Freitag sind jeweils als volle Aufenthaltstage in den Niederlanden zu berücksichtigen, weil sich A dort zumindest zeitweise aufgehalten hat. Dagegen können die Samstage und Sonntage mangels Aufenthaltes in den Niederlanden nicht als Aufenthaltstage i. S. der 183-Tage-Klausel berücksichtigt werden.
114
Beispiel 2: Zu Wochenendheimfahrten
Wie Beispiel 1, jedoch fährt A an jedem Samstagmorgen von den Niederlanden nach Deutschland und an jedem Sonntagabend zurück in die Niederlande.
Lösung:
Bei diesem Sachverhalt sind auch die Samstage und Sonntage als volle Aufenthaltstage in den Niederlanden i. S. der 183-Tage-Klausel zu berücksichtigen, weil sich A an diesen Tagen zumindest zeitweise dort aufgehalten hat.
115
Beispiel 3: Berechnung der Urlaubstage
B ist für seinen deutschen Arbeitgeber vom 1. Januar bis 15. Juni in Schweden tätig. Im Anschluss hieran hält er sich zu Urlaubszwecken bis einschließlich 24. Juni in Deutschland auf. Vom 25. Juni bis 24. Juli verbringt er seinen weiteren Urlaub in Schweden.
Lösung:
Die Urlaubstage, die B im Anschluss an seine Tätigkeit in Schweden verbringt, stehen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dieser Tätigkeit und werden daher für die Aufenthaltsdauer in Schweden berücksichtigt.
116
Beispiel 4: Transittage
C (kein Berufskraftfahrer) fährt für seinen deutschen Arbeitgeber an einem Montag mit dem Pkw von Hamburg nach Mailand, um dort eine Montagetätigkeit auszuüben. Er unterbricht seine Fahrt in Österreich, wo er übernachtet. Am folgenden Tag fährt C weiter nach Mailand. Am Freitag fährt C von Mailand über Österreich nach Hamburg zurück.
Lösung:
C durchquert Österreich lediglich für Zwecke des Transits. Zur Berechnung der Aufenthaltstage in Österreich werden daher die Tage, die C auf seiner Fahrt von und nach Mailand in Österreich verbringt, nicht gezählt; damit sind für Italien vier Tage zu zählen, für Österreich ist kein Tag zu berücksichtigen.
4.2.3
183-Tage-Frist – Dauer der Ausübung der unselbständigen Arbeit im Tätigkeitsstaat
117
Wird in einem DBA bei der 183-Tage-Frist auf die Dauer der Ausübung der unselbständigen Arbeit im Tätigkeitsstaat abgestellt (z. B. Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Dänemark), so ist hierbei jeder Tag zu berücksichtigen, an dem sich der Arbeitnehmer, und sei es auch nur für kurze Zeit, in dem anderen Vertragsstaat zur Arbeitsausübung tatsächlich aufgehalten hat.
118
Tage der Anwesenheit im Tätigkeitsstaat, an denen eine Ausübung der beruflichen Tätigkeit ausnahmsweise nicht möglich ist, werden mitgezählt, z. B. bei Streik, Aussperrung, Ausbleiben von Lieferungen oder Krankheit, es sei denn, die Krankheit steht der Abreise des Arbeitnehmers entgegen und er hätte ohne sie die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung im Tätigkeitsstaat erfüllt. Abweichend von Tz. 4.2.2 sind alle arbeitsfreien Tage der Anwesenheit im Tätigkeitsstaat vor, während und nach der Tätigkeit, z. B. Samstage, Sonntage, öffentliche Feiertage, Urlaubstage, nicht zu berücksichtigen (s. Beispiel 1, Rn. 119).
119
Beispiel 1: Wochenendheimfahrten
A ist für seinen deutschen Arbeitgeber mehrere Monate lang jeweils von Montag bis Freitag in Dänemark tätig. Seine Wochenenden verbringt er bei seiner Familie in Deutschland. Dazu fährt er an jedem Samstagmorgen von Dänemark nach Deutschland und an jedem Sonntagabend zurück nach Dänemark.
Lösung:
Die Tage von Montag bis Freitag sind jeweils als volle Tage in Dänemark zu berücksichtigen, weil A an diesen Tagen dort seine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat. Dagegen können die Samstage und Sonntage mangels Ausübung der Tätigkeit in Dänemark nicht als Tage i. S. der 183-Tage-Klausel berücksichtigt werden.
120
Im Verhältnis zu Belgien gilt die Besonderheit, dass für die Berechnung der 183-Tage-Frist Tage der Arbeitsausübung und übliche Arbeitsunterbrechungen auch dann mitgezählt werden, wenn sie nicht im Tätigkeitsstaat verbracht werden, z. B. Tage wie Samstage, Sonntage, Krankheits‑ und Urlaubstage, soweit sie auf den Zeitraum der Auslandstätigkeit entfallen (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1 DBA-Belgien, s. Beispiel 2 Rn. 122).
121
Dies gilt aber nicht für den Anreise‑ und Abreisetag, wenn an diesen Tagen nicht gearbeitet wird. Insofern handelt es sich nicht um Arbeitsunterbrechungen.
122
Beispiel 2: Besonderheiten Belgien
B ist für seinen deutschen Arbeitgeber zwei Wochen in Belgien tätig. Hierzu reist B am Sonntag nach Brüssel und nimmt dort am Montag seine Tätigkeit auf. Am folgenden arbeitsfreien Wochenende fährt B am Samstag nach Deutschland und kehrt am Montagmorgen zurück nach Brüssel. Nach Beendigung seiner Tätigkeit am darauffolgenden Freitag kehrt B am Samstag nach Deutschland zurück.
Lösung:
Der Anreisetag sowie der Abreisetag werden nicht als Tage der Arbeitsausübung in Belgien berücksichtigt, weil B an diesen Tagen dort seine berufliche Tätigkeit nicht ausgeübt hat und eine Arbeitsunterbrechung nicht gegeben ist. Die Tage von Montag bis Freitag sind jeweils als Tage der Arbeitsausübung in Belgien zu berücksichtigen, weil B an diesen Tagen dort seine berufliche Tätigkeit ausgeübt hat. Das dazwischenliegende Wochenende wird unabhängig vom Aufenthaltsort als Tage der Arbeitsausübung in Belgien berücksichtigt, weil eine übliche Arbeitsunterbrechung vorliegt. Somit sind für die 183-Tage-Frist zwölf Tage zu berücksichtigen.
123
Eine dem DBA-Belgien ähnliche Regelung ist in den Abkommen mit der Côte d’Ivoire (Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a) und Marokko (Art. 15 Abs. 2 Nr. 1) vereinbart. Diese Abkommen beziehen sich zwar auf die Dauer des Aufenthalts, jedoch werden auch hier gewöhnliche Arbeitsunterbrechungen bei der Berechnung der 183-Tage-Frist berücksichtigt.
4.2.4
Anwendung der 183-Tage-Frist auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum
124
Wird in einem DBA bei der 183-Tage-Frist (Art. 15 Abs. 2 OECD-MA) auf einen „Zeitraum von zwölf Monaten“ abgestellt, so sind hierbei alle denkbaren Zwölf-Monats-Zeiträume in Betracht zu ziehen, auch wenn sie sich zum Teil überschneiden. Wenn sich der Arbeitnehmer in einem beliebigen Zwölf-Monats-Zeitraum an mehr als 183 Tagen in dem anderen Vertragsstaat aufhält, steht diesem für die Einkünfte, die auf diese Tage entfallen, das Besteuerungsrecht zu. Mit jedem Aufenthaltstag des Arbeitnehmers in dem anderen Vertragsstaat ergeben sich somit neue zu beachtende Zwölf-Monats-Zeiträume.
125
Ein Zwölf-Monats-Zeitraum wurde z. B. mit folgenden Staaten vereinbart (Stand: 1. Januar 2023):
Albanien | (ab 1. Januar 2012), |
Algerien | (ab 1. Januar 2009), |
Armenien | (ab 1. Januar 2018), |
Aserbaidschan | (ab 1. Januar 2006), |
Australien | (ab 1. Januar 2017), |
Belarus (Weißrussland) | (ab 1. Januar 2007), |
Bulgarien | (ab 1. Januar 2011), |
China | (ab 1. Januar 2017), |
Costa Rica | (ab 1. Januar 2017), |
Finnland | (ab 1. Januar 2018), |
Georgien | (ab 1. Januar 2008), |
Ghana | (ab 1. Januar 2008), |
Irland | (ab 1. Januar 2013), |
Israel | (ab 1. Januar 2017), |
Japan | (ab 1. Januar 2017), |
Kanada | (ab 1. Januar 2011), |
Kasachstan | (ab 1. Januar 1996), |
Kirgisistan | (ab 1. Januar 2007), |
Korea | (ab 1. Januar 2003), |
Kroatien | (ab 1. Januar 2007), |
Liberia | (ab 1. Januar 1970), |
Liechtenstein | (ab 1. Januar 2013), |
Luxemburg | (ab 1. Januar 2014), |
Malaysia | (ab 1. Januar 2011), |
Malta | (ab 1. Januar 2002), |
Mauritius | (ab 1. Januar 2013), |
Mazedonien | (ab 1. Januar 2011), |
Mexiko | (ab 1. Januar 1993), |
Niederlande | (ab 1. Januar 2016), |
Norwegen | (ab 1. Januar 1991), |
Philippinen | (ab 1. Januar 2016), |
Polen | (ab 1. Januar 2005), |
Rumänien | (ab 1. Januar 2004), |
Russland | (ab 1. Januar 1997), |
Singapur | (ab 1. Januar 2007), |
Slowenien | (ab 1. Januar 2007), |
Spanien | (ab 1. Januar 2013), |
Syrien | (ab 1. Januar 2011), |
Tadschikistan | (ab 1. Januar 2005), |
Taiwan | (ab 1. Januar 2013), |
Tunesien | (ab 1. Januar 2020), |
Türkei | (ab 1. Januar 2011), |
Turkmenistan | (ab 1. Januar 2018), |
Ungarn | (ab 1. Januar 2012), |
Uruguay | (ab 1. Januar 2012), |
Usbekistan | (ab 1. Januar 2002), |
Vereinigtes Königreich | (ab 1. Januar 2011), |
Zypern | (ab 1. Januar 2012). |
A ist für seinen deutschen Arbeitgeber vom 1. April bis 20. April 01 für 20 Tage, zwischen dem 1. August 01 und dem 31. März 02 für 90 Tage sowie vom 25. April 02 bis zum 31. Juli 02 für 97 Tage in Spanien tätig.
Lösung:
Für die Vergütungen, die innerhalb des Zeitraums 1. August 01 bis 31. Juli 02 auf Tage entfallen, an denen sich A in Spanien aufhält, hat Spanien das Besteuerungsrecht, da sich A innerhalb eines Zwölf Monats-Zeitraums dort an insgesamt mehr als 183 Tagen (insgesamt 187 Tage) aufgehalten hat. Das Besteuerungsrecht für die Einkünfte, die auf den Zeitraum 1. bis 20. April 01 entfallen, steht dagegen Deutschland zu, da sich A in allen auf diesen Zeitraum bezogenen denkbaren Zwölf-Monats-Zeiträumen an nicht mehr als 183 Tagen in Spanien aufgehalten hat.
B ist für seinen deutschen Arbeitgeber zwischen dem 1. Januar 01 und dem 28. Februar 01 sowie vom 1. Mai 01 bis zum 30. April 02 für jeweils monatlich 20 Tage in Spanien tätig.
Lösung:
Das Besteuerungsrecht für die Vergütungen, die innerhalb des Zeitraums 1. Mai 01 bis 30. April 02 auf Tage entfallen, an denen sich B in Spanien aufhält, hat Spanien, da sich B innerhalb eines Zwölf Monats-Zeitraums dort an insgesamt mehr als 183 Tagen (insgesamt 240 Tage) aufgehalten hat. Gleiches gilt für den Zeitraum 1. Januar 01 bis 28. Februar 01, da sich B auch innerhalb des Zwölf Monats-Zeitraums 1. Januar 01 bis 31. Dezember 01 an insgesamt mehr als 183 Tagen (insgesamt 200 Tage) in Spanien aufgehalten hat.
4.2.5
Anwendung der 183-Tage-Frist auf das Steuerjahr/Kalenderjahr
128
Wird in einem DBA bei der 183-Tage-Frist anstelle eines Zwölf-Monats-Zeitraums auf das Steuerjahr oder Kj. abgestellt, so sind die Aufenthalts‑/Ausübungstage für jedes Steuerjahr oder Kj. gesondert zu ermitteln. In Deutschland entspricht das Steuerjahr dem Kj. Entspricht das Steuerjahr des anderen Vertragsstaats ebenfalls dem Kj., ergeben sich keine Besonderheiten, wenn das entsprechende DBA für die Berechnung der 183-Tage-Frist auf das Steuerjahr abstellt (z. B. DBA-Frankreich, DBA-Griechenland, DBA-Italien). Weicht das Steuerjahr des anderen Vertragsstaats vom Steuerjahr Deutschlands (= Kj.) ab, ist jeweils das Steuerjahr des Vertragsstaats maßgebend, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird.
129
Folgende Vertragsstaaten haben z. B. ein vom Kj. abweichendes Steuerjahr und keinen Zwölf-Monats-Zeitraum (s. Tz. 4.2.4, Rn. 124 ff.) (Stand: 1. Januar 2023):
Bangladesch | 1. Juli bis 30. Juni |
Indien | 1. April bis 31. März |
Iran | 21. März bis 20. März |
Namibia | 1. März bis 28./29. Februar |
Neuseeland | 1. April bis 31. März |
Pakistan | 1. Juli bis 30. Juni |
Sri Lanka | 1. April bis 31. März |
Südafrika | 1. März bis 28./29. Februar |
130
Das Kj. wurde z. B. mit folgenden Staaten (Stand 1. Januar 2023) vereinbart:
- Belgien
- Dänemark
- Island
- Österreich
- Portugal
- Schweden
- Schweiz
- USA
131
Beispiel 1: Kalenderjahr
A ist vom 1. Oktober 01 bis 31. Mai 02 für seinen deutschen Arbeitgeber in Schweden tätig. In dieser Zeit hält sich A an jedem Tag in Schweden auf.
Lösung:
Die Aufenthaltstage sind für jedes Kj. getrennt zu ermitteln. A hält sich weder im Kj. 01 (92 Tage) noch im Kj. 02 (151 Tage) länger als 183 Tage in Schweden auf.
132
Beispiel 2: Steuerjahr
B ist für seinen deutschen Arbeitgeber vom 1. Januar 02 bis 31. Juli 02 in Indien (Steuerjahr 1. April bis 31. März) tätig. In dieser Zeit hält sich B an jedem Tag in Indien auf.
Lösung:
Die Aufenthaltstage sind für jedes Steuerjahr getrennt zu ermitteln. Maßgeblich ist das Steuerjahr des Tätigkeitsstaates. Da das Steuerjahr 01/02 in Indien am 31. März 02 endet, hält sich B weder im Steuerjahr 01/02 (90 Tage) noch im Steuerjahr 02/03 (122 Tage) länger als 183 Tage in Indien auf.
4.2.6
Besonderheiten beim Wechsel des Bezugszeitraums im DBA und Wechsel der Ansässigkeit
133
Beim Wechsel des Bezugszeitraums vom Steuerjahr auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum durch Änderung eines DBA ist – soweit im DBA nichts anderes vereinbart ist – ab Anwendbarkeit des neuen DBA auch dann ein Zwölf-Monats-Zeitraum zu betrachten, wenn dessen Beginn in den Anwendungszeitraum des alten DBA hineinreicht.
Ein deutscher Arbeitgeber entsendet seinen in Deutschland ansässigen Mitarbeiter A vom 15. November 2010 bis 31. Mai 2011 (insgesamt 198 Tage) nach Großbritannien.
Lösung:
Das DBA-Vereinigtes Königreich 2010 ist nach Art. 32 Abs. 2 Buchstabe a Doppelbuchstabe bb ab 1. Januar 2011 anzuwenden und enthält als maßgeblichen Bezugszeitraum einen Zwölf-Monats-Zeitraum, der während des bestehenden Steuerjahres (6. April bis 5. April) beginnt bzw. endet. Für den VZ 2010 bedeutet das, dass zur Ermittlung der Aufenthaltstage nach Art. XI Abs. 3 DBA-Vereinigtes Königreich 1964 auf das britische Steuerjahr (6. April 2010 bis 5. April 2011) abzustellen ist. In diesem Zeitraum hielt sich A an 142 Tagen und somit nicht länger als 183 Tage in Großbritannien auf. In 2010 verbleibt somit das Besteuerungsrecht für die in 2010 erhaltenen Einkünfte des A in Deutschland. Für den VZ 2011 ist allerdings nach Art. 14 Abs. 2 des DBA-Vereinigtes Königreich 2010 zu prüfen, ob sich A insgesamt länger als 183 Tage innerhalb eines Zwölf-Monats-Zeitraums, der in 2010 beginnt und im Steuerjahr 2011 endet, in Großbritannien aufgehalten hat. A hat sich 198 Tage in Großbritannien aufgehalten. In 2011 erhält somit Großbritannien das Besteuerungsrecht für die vom 1. Januar 2011 bis 31. Mai 2011 vereinnahmten Einkünfte des A.
135
Bei einem Wechsel der Ansässigkeit innerhalb der vorgenannten Bezugszeiträume sind bei der Berechnung der 183 Aufenthalts‑/Ausübungstage diejenigen Tage, an denen der Steuerpflichtige im Tätigkeitsstaat ansässig ist, nicht zu berücksichtigen (s. Tz. 5.1 OECD-MK zu Art. 15 OECD-MA).
136
Beispiel 2: (
s. Tz. 5.1
OECD-MK zu
Art. 15
OECD-MA)
Vom 1. Januar 01 bis 31. Dezember 01 ist A in Polen ansässig. Am 1. Januar 02 wird A von einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber eingestellt und ist ab diesem Zeitpunkt in Deutschland ansässig. A wird vom 15. bis 31. März 02 von seinem deutschen Arbeitgeber nach Polen entsandt.
Lösung:
Das DBA-Polen sieht als maßgeblichen Bezugszeitraum für die 183-Tage-Frist den Zwölf-Monats-Zeitraum vor. A hält sich zwischen dem 1. April 01 und dem 31. März 02 insgesamt 292 Tage in Polen auf. Da er aber zwischen dem 1. April 01 und dem 31. Dezember 01 in Polen ansässig war, kann dieser Zeitraum für die Berechnung der 183 Tage nicht berücksichtigt werden.
A hat sich somit zwischen dem 1. April 01 und 31. März 02 nur 17 Tage (15. März 02 bis 31. März 02) in Polen aufgehalten, ohne zugleich dort ansässig zu sein.
137
Beispiel 3: (
s. Tz. 5.1
OECD-MK zu
Art. 15
OECD-MA)
Vom 15. bis 31. Oktober 01 hält sich A, der in Polen ansässig ist, in Deutschland auf, um dort die Erweiterung der Geschäftstätigkeit der X-AG, die in Polen ansässig ist, vorzubereiten. Am 1. Mai 02 zieht A nach Deutschland, wo er ansässig wird und für eine in Deutschland neu gegründete Tochtergesellschaft der X-AG arbeitet.
Lösung:
In diesem Fall hält sich A zwischen dem 15. Oktober 01 und dem 14. Oktober 02 insgesamt 184 Tage in Deutschland auf. Da er aber zwischen dem 1. Mai 02 und dem 14. Oktober 02 in Deutschland ansässig war, wird dieser letztere Zeitraum für die Berechnung der nach Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a DBA-Polen genannten Zeiträume nicht berücksichtigt.
A hat sich somit zwischen dem 15. Oktober 01 und dem 14. Oktober 02 nur 17 Tage (15. Oktober 01 bis 31. Oktober 01) in Deutschland aufgehalten, ohne zugleich dort ansässig zu sein.
Vom 1. Januar 01 bis 30. April 01 war A in Deutschland und vom 1. Mai 01 bis 31. Dezember 01 in den USA ansässig.
Bis zum 30. April 01 war A bei einem deutschen Arbeitgeber beschäftigt. Vom 1. März bis 6. März 01 war A für seinen deutschen Arbeitgeber in den USA tätig. Der deutsche Arbeitgeber hatte in den USA keine Betriebsstätte.
Lösung:
Deutschland hat für den Zeitraum bis zum 30. April 01 das Besteuerungsrecht, weil Deutschland der Ansässigkeitsstaat war, sich A nicht mehr als 183 Tage in den USA aufgehalten hat (der Zeitraum 1. Mai 01 bis 31. Dezember 01 wird insoweit nicht mitgerechnet, weil A in diesem Zeitraum in den USA ansässig war), und der Arbeitslohn nicht von einem US-amerikanischen Arbeitgeber oder einer US-amerikanischen Betriebsstätte getragen wurde.
4.2.7
Nachträgliche Änderung der Zuweisung des Besteuerungsrechts
139
Bei der Anwendung der 183-Tage-Frist auf einen Zwölf-Monats-Zeitraum (s. Tz. 4.2.4, Rn. 124 ff.) kann eine einmal vorgenommene Zuordnung des Besteuerungsrechts durch weitere, nach der Veranlagung des Vorjahres durchgeführte Auslandseinsätze abweichend zu beurteilen sein.
A, wohnhaft und ansässig im Inland, wird für seinen im Inland ansässigen Arbeitgeber vom 1. August 01 bis 31. Dezember 01 in Spanien tätig. A hält sich während dieses Zeitraums ausschließlich in Spanien auf (153 Aufenthaltstage). Aufgrund unvorhersehbarer Umstände muss A nochmals in der Zeit vom 15. Mai 02 bis 20. Juni 02 in Spanien tätig werden (37 Aufenthaltstage). A gibt seine Einkommensteuererklärung für 01 im März 02 ab. Die Veranlagung erfolgt
- am 20. April 02 (Bescheid vom 30. April 02),
- am 22. Juni 02 (Bescheid vom 2. Juli 02).
In beiden Fällen wurde der in Spanien erzielte Arbeitslohn der deutschen Besteuerung unterworfen, da – nach den Kenntnissen des Finanzamts am Veranlagungstag – alle drei Bedingungen der 183-Tage-Regelung (Art. 14 Abs. 2 DBA-Spanien) erfüllt waren. A informiert das Finanzamt am 5. Juli 02 über seinen erneuten Arbeitsaufenthalt in Spanien und beantragt, die Veranlagung 01 in der Weise zu ändern, dass der in Spanien erzielte Arbeitslohn steuerfrei gestellt und nur noch dem Progressionsvorbehalt unterworfen wird.
Lösung:
Durch den erneuten Aufenthalt in Spanien hat sich A in dem Zwölf-Monats-Zeitraum, der am 1. August 01 beginnt und am 31. Juli 02 endet, an mehr als 183 Tagen in Spanien aufgehalten (190 Aufenthaltstage).
- Im Veranlagungszeitpunkt war die inländische Besteuerung des in der Zeit vom 1. August 01 bis 31. Dezember 01 in Spanien erzielten Arbeitslohns zutreffend. Durch den nach der Veranlagung erfolgten erneuten Aufenthalt in Spanien erweist sich diese Zuordnung des Besteuerungsrechts nunmehr als unzutreffend, da A seinen Aufenthalt insgesamt an mehr als 183 Tagen in einem Zwölf-Monats-Zeitraum (1. August 01 bis 31. Juli 02) in Spanien hatte. Die Veranlagung 01 ist deshalb antragsgemäß nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG zu ändern, sofern A die Besteuerung dieses Arbeitslohns in Spanien nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG nachweist.
- Nach den tatsächlichen Verhältnissen im Veranlagungszeitpunkt lagen die Voraussetzungen für eine inländische Besteuerung des in der Zeit vom 1. August 01 bis 31. Dezember 01 in Spanien erzielten Arbeitslohns objektiv nicht vor, da A sich in dem Zwölf-Monats-Zeitraum an mehr als 183 Tagen in Spanien aufgehalten hat. Dem Finanzamt war der zweite Spanienaufenthalt am Veranlagungstag allerdings nicht bekannt. Nach § 50d Abs. 8 Satz 2 EStG ist die Veranlagung 01 zu ändern. Die Festsetzungsfrist beginnt nach § 50d Abs. 8 Satz 3 EStG i.V. m. § 175 Abs. 1 Satz 2 AO erst mit Ablauf des Kj., in dem der Nachweis nach § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG geführt wird. So hat der Steuerpflichtige ausreichend Zeit, die entsprechende steuerliche Behandlung herbeizuführen.
4.3
Zahlung der Vergütung durch einen oder für einen im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber – Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b OECD-MA
4.3.1
Allgemeines
141
Erfolgt die Zahlung durch einen oder für einen im Tätigkeitsstaat ansässigen Arbeitgeber, sind die Voraussetzungen für die Besteuerung im Ansässigkeitsstaat nach Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b OECD-MA nicht erfüllt.
142
Die im Ausland ausgeübte unselbständige Tätigkeit eines Arbeitnehmers kann für seinen zivilrechtlichen Arbeitgeber (s. Tz. 4.3.2, Rn. 146 ff.), für seinen wirtschaftlichen Arbeitgeber im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen (s. Tz. 4.3.3, Rn. 149 ff.) oder aber für einen nicht verbundenen Unternehmer (s. Tz. 4.3.4, Rn. 188 ff. und Tz. 4.3.5, Rn. 209 ff.) erfolgen. Dabei wird eine Vergütung auch insoweit i. S. des Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b OECD-MA von einem Arbeitgeber „gezahlt“, als dieser die Vergütung entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz wirtschaftlich trägt oder entsprechend diesem Grundsatz hätte tragen müssen. Soweit ein anderer als der unmittelbar Zahlende (i. d. R. der zivilrechtliche Arbeitgeber) die Vergütung wirtschaftlich entsprechend dem Fremdvergleichsgrundsatz trägt oder hätte tragen müssen, kann auch dies eine Zahlung i. S. des Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b OECD-MA darstellen (BFH-Urteil vom 23. Februar 2005, BStBl II S. 547). Dies ist insbesondere im Rahmen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen (s. Tz. 4.3.3) von Bedeutung.
143
Ist eine Personengesellschaft Arbeitgeberin, bestimmt sich deren Ansässigkeit für Zwecke des Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b OECD-MA grundsätzlich nach dem Ort der Geschäftsleitung. Entsprechendes gilt für eine Personengesellschaft, die im anderen Staat wie eine Kapitalgesellschaft besteuert wird.
144
Eine Betriebsstätte kommt zivilrechtlich nicht als Arbeitgeberin i. S. des DBA in Betracht (BFH-Urteile vom 29. Januar 1986, BStBl II S. 442 und BStBl II S. 513), s. Tz. 4.4, Rn. 213 ff.
A ist Arbeitnehmer eines britischen Unternehmens B. Er wohnt seit Jahren in Deutschland und ist bei einer deutschen Betriebsstätte des B in Hamburg beschäftigt. Im Jahr 01 befindet er sich an fünf Arbeitstagen bei Kundenbesuchen in der Schweiz und an fünf Arbeitstagen bei Kundenbesuchen in Norwegen.
Lösung:
Für den Aufenthalt in der Schweiz ist das DBA-Schweiz maßgeblich, da A in Deutschland ansässig ist (Art. 1, 4 Abs. 1 DBA-Schweiz) und die „Quelle“ der Einkünfte aus unselbständiger Arbeit in dem Staat liegt, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird. Nach Art. 15 Abs. 2 DBA-Schweiz hat Deutschland das Besteuerungsrecht, da neben der Erfüllung der weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift A von einem Arbeitgeber entlohnt wird, der nicht in der Schweiz ansässig ist.
Für den Aufenthalt in Norwegen ist das DBA-Norwegen maßgeblich. Norwegen hat das Besteuerungsrecht für die Vergütungen aus der Tätigkeit in Norwegen. Zwar hält sich A nicht länger als 183 Tage in Norwegen auf. Das ausschließliche Besteuerungsrecht würde Deutschland nach Art. 15 Abs. 2 Buchstabe b DBA-Norwegen nur dann zustehen, wenn der Arbeitgeber in dem Staat ansässig ist, in dem auch der Arbeitnehmer ansässig ist. Arbeitgeber ist hier das britische Unternehmen B; die inländische Betriebsstätte kann nicht Arbeitgeber i.S. des DBA sein. Deutschland vermeidet in diesem Fall die Doppelbesteuerung der Lohneinkünfte durch Anrechnung der in Norwegen gezahlten Steuern (Art. 23 Abs. 2 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc DBA-Norwegen).
4.3.2
Auslandstätigkeit für den zivilrechtlichen Arbeitgeber
146
Sofern der im Inland ansässige Arbeitnehmer für seinen zivilrechtlichen Arbeitgeber, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist (z. B. im Rahmen einer Lieferung, Werk‑ oder Dienstleistung), bei einem Unternehmen im Ausland tätig ist, ist regelmäßig davon auszugehen, dass der zivilrechtliche Arbeitgeber auch der Arbeitgeber i. S. des DBA ist. Sofern in diesem Fall auch keine Betriebsstätte des Arbeitgebers im Tätigkeitsstaat vorliegt, die die Vergütungen wirtschaftlich trägt, steht das Besteuerungsrecht erst dann dem ausländischen Tätigkeitsstaat zu, wenn die 183-Tage-Frist überschritten wird (Art. 15 Abs. 2 Buchstabe a und c OECD-MA).
147
Entsprechendes gilt für einen im Ausland ansässigen Arbeitnehmer, der für seinen ausländischen zivilrechtlichen Arbeitgeber im Inland tätig ist.
148
Beispiel: Werkleistungsverpflichtung
Das ausschließlich in Spanien ansässige Unternehmen S ist spezialisiert auf die Installation von Computeranlagen. Das in Deutschland ansässige, nicht mit S verbundene Unternehmen D hat kürzlich eine neue Computeranlage angeschafft und schließt für die Durchführung der Installation dieser Anlage einen Werkleistungsvertrag mit S ab. Der in Spanien ansässige Angestellte X wird für vier Monate an den Firmensitz von D im Inland gesandt, um die vereinbarte Installation durchzuführen. S berechnet D für die Installationsleistungen (einschließlich Reisekosten des Angestellten X, Gewinnaufschlag etc.) einen pauschalen Betrag. Der Arbeitslohn des Angestellten X ist dabei lediglich ein nicht gesondert ausgewiesener Preisbestandteil im Rahmen der Preiskalkulation des Unternehmens S.
Lösung:
Angestellter X wird im Rahmen einer Werkleistungsverpflichtung und nicht im Rahmen einer Arbeitnehmerentsendung des Unternehmens S bei Unternehmen D tätig. Vorausgesetzt, Angestellter X hält sich nicht mehr als 183 Tage während des betreffenden Zwölf-Monats-Zeitraums in Deutschland auf und Unternehmen S hat in Deutschland keine Betriebsstätte, der die Gehaltszahlungen an X zuzurechnen sind, weist Art. 14 Abs. 2 DBA-Spanien das Besteuerungsrecht für die Vergütungen aus unselbständiger Arbeit dem Ansässigkeitsstaat von X Spanien zu.
Angestellter X ist in Deutschland nach innerstaatlichem Recht beschränkt steuerpflichtig, weil die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG). Da Deutschland für den entsprechenden Arbeitslohn nach Art. 14 Abs. 2 DBA-Spanien kein Besteuerungsrecht hat, ergibt sich für den Angestellten X keine Einkommensteuer. Der Lohnsteuerabzug für die in Deutschland ausgeübte Tätigkeit kann bereits deshalb unterbleiben, weil in Deutschland kein inländischer Arbeitgeber vorliegt und darüber hinaus auch auf der Abkommensebene Deutschland kein Besteuerungsrecht zusteht. Unternehmen S ist kein in § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG genannter abzugspflichtiger Arbeitgeber. Eine Abzugsverpflichtung ergibt sich in Deutschland auch nicht nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, weil X im Rahmen einer Werkleistungsverpflichtung tätig wird. Für den Fall, dass Unternehmen S und Unternehmen D verbundene Unternehmen sind, ergibt sich keine abweichende Lösung.
4.3.3
Grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen
4.3.3.1
Definition der Arbeitnehmerentsendung
149
Eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerentsendung (Personalentsendung) ist die Entsendung eines Arbeitnehmers für eine bestimmte Zeit seitens eines Unternehmens (entsendendes Unternehmen) an ein anderes Unternehmen (aufnehmendes Unternehmen) derselben multinationalen Unternehmensgruppe in einem anderen Staat. Der Arbeitnehmer wird, ohne dass der bisherige Arbeitsvertrag mit dem entsendenden Unternehmen beendet wird (ruhender Arbeitsvertrag), bei einem aufnehmenden Unternehmen tätig und
- schließt mit diesem Unternehmen einen (weiteren) Arbeitsvertrag,
- trifft mit diesem Unternehmen eine Nebenabrede zum bestehenden Arbeitsvertrag, oder
- dieses Unternehmen gilt als wirtschaftlicher Arbeitgeber (s. Tz. 4.3.3.3, Rn. 151 ff.).
4.3.3.2
Abgrenzung – keine Arbeitnehmerentsendung
150
Eine Arbeitnehmerentsendung liegt nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer zur Erfüllung einer Dienst‑ oder Werkleistungsverpflichtung des entsendenden Unternehmens bei einem anderen Unternehmen tätig wird und sein Arbeitslohn Preisbestandteil der Dienst‑ oder Werkleistung ist (z. B. beim gewerblichen Arbeitnehmerverleih oder bei Werkleistungen). Liegt keine Arbeitnehmerentsendung vor, ist Tz. 4.3.2, Rn. 146 ff. anwendbar. Bei einer gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung gilt Tz. 4.3.4, Rn. 188 ff.
4.3.3.3
Wirtschaftlicher Arbeitgeber
151
Arbeitgeber i. S. eines DBA kann nicht nur der zivilrechtliche Arbeitgeber, sondern auch eine andere natürliche oder juristische Person sein, die die Vergütung für die ihr geleistete unselbständige Tätigkeit wirtschaftlich trägt oder hätte tragen müssen (BFH-Urteil vom 23. Februar 2005, BStBl II S. 547). Entsprechendes gilt für Personengesellschaften (s. Tz. 4.3.1, Rn. 143). Wird die unselbständige Tätigkeit eines im Inland ansässigen Arbeitnehmers bei einem im Ausland ansässigen verbundenen Unternehmen (Art. 9 OECD-MA) ausgeübt, ist zu prüfen, welches dieser Unternehmen als Arbeitgeber i. S. des DBA und damit als wirtschaftlicher Arbeitgeber anzusehen ist. Hierbei ist auf den wirtschaftlichen Gehalt und die tatsächliche Durchführung der zugrundeliegenden Vereinbarungen abzustellen. Entsprechendes gilt, wenn ein im Ausland ansässiger Arbeitnehmer bei einem im Inland ansässigen verbundenen Unternehmen (Art. 9 OECD-MA) tätig ist.
152
Das aufnehmende Unternehmen wird zum Arbeitgeber im abkommensrechtlichen Sinne (wirtschaftlicher Arbeitgeber), wenn
- der Arbeitnehmer in das aufnehmende Unternehmen eingebunden (s. Tz. 4.3.3.3.1, Rn. 155 ff.) ist, z. B. weil das aufnehmende Unternehmen über Art und Umfang der täglichen Arbeit entscheidet und ggf. erforderliche Arbeitsmittel zur Verfügung stellt und
- das aufnehmende Unternehmen den Arbeitslohn (infolge seines eigenen betrieblichen Interesses an der Entsendung des Arbeitnehmers) für die ihm geleistete unselbständige Arbeit wirtschaftlich trägt oder nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hätte tragen müssen (s. Tz. 4.3.3.3.2, Rn. 159 ff.). Hierbei ist es unerheblich, ob die Vergütungen unmittelbar dem betreffenden Arbeitnehmer ausgezahlt werden, oder ein anderes Unternehmen mit diesen Arbeitsvergütungen in Vorlage tritt (BFH-Urteil vom 21. August 1985, BStBl II 1986 S. 4). Eine „willkürliche“ Weiterbelastung des Arbeitslohns führt nicht zur Begründung der Arbeitgebereigenschaft, ebenso wie eine unterbliebene Weiterbelastung die Arbeitgebereigenschaft beim aufnehmenden Unternehmen nicht verhindern kann.
153
Zu einem Wechsel der abkommensrechtlichen Arbeitgeberstellung bedarf es weder einer förmlichen Änderung des Arbeitsvertrages zwischen dem Arbeitnehmer und dem entsendenden Unternehmen noch ist der Abschluss eines zusätzlichen Arbeitsvertrages zwischen dem Arbeitnehmer und dem aufnehmenden Unternehmen oder eine im Vorhinein getroffene Verrechnungspreisabrede zwischen den betroffenen verbundenen Unternehmen erforderlich (BFH-Urteil vom 23. Februar 2005, BStBl II S. 547).
154
In den Fällen der Arbeitnehmerentsendung ist der wirtschaftliche Arbeitgeber i. S. des Abkommensrechts auch der zum Lohnsteuerabzug verpflichtete inländische Arbeitgeber i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, BMF-Schreiben vom 27. Januar 2004, BStBl I S. 173, Tz. III.1 (vgl. auch Rn. 165 u. 166).
4.3.3.3.1
Einbindung des Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen
155
Für die Entscheidung, ob der Arbeitnehmer in das aufnehmende Unternehmen eingebunden ist, ist das Gesamtbild der Verhältnisse maßgebend. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob
- das aufnehmende Unternehmen die Verantwortung oder das Risiko für die durch die Tätigkeit des Arbeitnehmers erzielten Ergebnisse trägt und
- der Arbeitnehmer den fachlichen Weisungen des aufnehmenden Unternehmens unterworfen ist.
156
Darüber hinaus kann für die vorgenannte Entscheidung u. a. zu berücksichtigen sein, wer über die Höhe der Bezüge, die Teilnahme an einem etwaigen Erfolgsbonus und Aktienerwerbsplan des Konzerns oder die Urlaubsgewährung entscheidet, das Risiko für eine Lohnzahlung im Nichtleistungsfall trägt, das Recht der Entscheidung über Kündigung oder Entlassung hat, oder für die Sozialversicherungsbelange des Arbeitnehmers verantwortlich ist, in wessen Räumlichkeit die Arbeit erbracht wird, welchen Zeitraum das Tätigwerden im aufnehmenden Unternehmen umfasst, wem gegenüber Abfindungs‑ und Pensionsansprüche erwachsen und mit wem der Arbeitnehmer Meinungsverschiedenheiten aus dem Arbeitsvertrag auszutragen hat.
157
Nach diesen Grundsätzen wird z. B. bei Entsendung eines Arbeitnehmers von einer Muttergesellschaft zu ihrer Tochtergesellschaft das aufnehmende Unternehmen nicht zum wirtschaftlichen Arbeitgeber, wenn der Arbeitnehmer nicht in dessen Hierarchie eingebunden ist. In diesem Fall wird der Arbeitnehmer ausschließlich als Vertreter der Muttergesellschaft tätig, während im Verhältnis zur Tochtergesellschaft die für ein Arbeitsverhältnis kennzeichnende Abhängigkeit fehlt. Hier bleibt die Muttergesellschaft selbst dann die Arbeitgeberin im abkommensrechtlichen Sinne, wenn die Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft den Arbeitslohn ersetzt. In diesem Zusammenhang wird auf den Sonderfall eines Arbeitnehmers, der im Interesse seines inländischen Arbeitgebers die Funktion als Verwaltungsratsmitglied oder ‑beirat bei einem ausländischen verbundenen Unternehmen wahrnimmt, hingewiesen (BFH-Urteil vom 23. Februar 2005, BStBl II S 547). Leitende Angestellte, wie z. B. Vorstände und Geschäftsführer, sind regelmäßig Teil der Hierarchie des aufnehmenden Unternehmens, wenn sie in die laufende Geschäftsführung eingebunden sind. Hiervon abzugrenzen sind Managementgesellschaften (s. Tz. 4.3.3.3.5, Rn. 179).
158
Bei einer Arbeitnehmerentsendung zwischen international verbundenen in‑ und ausländischen Unternehmen von nicht mehr als drei Monaten (auch jahresübergreifend für sachlich zusammenhängende Tätigkeiten) spricht eine widerlegbare Anscheinsvermutung dafür, dass das aufnehmende Unternehmen mangels Einbindung des Arbeitnehmers nicht als wirtschaftlicher Arbeitgeber anzusehen ist. Die Anscheinsvermutung kann im Einzelfall unter Beachtung der Kriterien in der Rn.155 ff. entkräftet werden. Folglich sind stets die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls maßgeblich.
4.3.3.3.2
Beurteilung des betrieblichen Interesses
159
Eine Einbindung des Arbeitnehmers in das aufnehmende Unternehmen führt allein jedoch noch nicht dazu, dass das aufnehmende Unternehmen die Vergütungen wirtschaftlich trägt oder hätte tragen müssen (wirtschaftlicher Arbeitgeber). Hierzu bedarf es zusätzlich der Prüfung, in wessen Interesse der Arbeitnehmer tätig geworden ist. Dabei ist zu beachten, dass eine Entsendung im Interesse des aufnehmenden Unternehmens, des entsendenden Unternehmens oder beider Unternehmen liegen kann.
160
Die Interessenslage kann z. B. anhand folgender Aspekte beurteilt werden:
- ausgeübte Funktion (genaue Tätigkeitsbeschreibung z. B. im Arbeits‑ oder Entsendevertrag),
- benötigte fachliche Qualifikation,
- Zusammenhang zwischen den Aufwendungen für den entsandten Arbeitnehmer und seinem Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens,
- Tätigkeitsort,
- von welchem Unternehmen geht die Initiative für die Arbeitnehmerentsendung aus,
- welches Unternehmen profitiert am meisten von der Entsendung,
- ist die Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers einzelprojektbezogen,
- ist auf dem lokalen Arbeitsmarkt des aufnehmenden Unternehmens ein Angebot an Arbeitskräften mit der nach objektiven Maßstäben erforderlichen Qualifikation nicht vorhanden und auch nicht im Rahmen betrieblicher Ausbildung oder Qualifizierung zu schaffen,
- sind gleichwertig qualifizierte Arbeitnehmer auf dem lokalen Arbeitsmarkt des aufnehmenden Unternehmens verfügbar, die einen geringeren Aufwand verursachen,
- übt der Arbeitnehmer Planungs‑, Koordinierungs‑ oder Kontrolltätigkeiten aus,
- werden nach Rückkehr des Arbeitnehmers dessen gesammelte Auslandserfahrungen im Rahmen seiner weiteren Beschäftigung beim entsendenden Unternehmen genutzt,
- wird der Arbeitnehmer im Rahmen eines Rotationssystems entsandt,
- der prozentuale Anteil der entsandten Arbeitnehmer an der Gesamtbelegschaft,
- objektives Erfordernis von Sprachkenntnissen oder persönlichen Beziehungen in Verbindung mit der ausgeübten Funktion oder anderer Spezialkenntnisse.
161
Werden Arbeitnehmer ausschließlich zu Aus‑ oder Fortbildungszwecken entsandt, erfolgt dies im Interesse des entsendenden Unternehmens.
162
Bei einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung im Unternehmensverbund beziehen sich die Auskunfts‑ und Beweismittelbeschaffungspflichten i. S. des § 90 Abs. 2 AO auf die Höhe der weiterbelasteten Kosten (s. Tz.4.3.3.3.3, Rn. 165 ff.) und auf die Interessenlage, nach der sich die Zuordnung der Tätigkeit des entsandten Arbeitnehmers sowie eine ggf. vorzunehmende Aufteilung des Arbeitslohns richtet.
163
Die Interessenlage ist vom Steuerpflichtigen darzulegen und durch geeignete Nachweise zu belegen. Hierfür kommen z. B. in Betracht:
- Entsendevertrag, ggf. Konzernentsenderichtlinie, Schriftverkehr zur Begründung der Entsendung,
- Beschreibung der Tätigkeit des aufnehmenden Unternehmens sowie seiner Produkte bzw. Dienstleistungen; Tätigkeitsbeschreibungen für den entsandten Arbeitnehmer,
- konkrete Tätigkeitsnachweise, z. B. Berichte, Protokolle, die der entsandte Arbeitnehmer für das entsendende Unternehmen angefertigt hat,
- Stellenanzeigen,
- Arbeitsverträge des Arbeitnehmers mit dem entsendenden und ggf. aufnehmenden Unternehmen,
- Nachweis über die Höhe des Arbeitslohns vor der Entsendung,
- Zeitnachweise für Art und Umfang der Tätigkeit,
- Reisekostenabrechnungen,
- funktionsorientiertes Arbeitnehmerorganigramm oder ähnliche Unterlagen.
164
Auf die Indizwirkung der Bescheinigung des Arbeitgebers über die an das aufnehmende Unternehmen im Tätigkeitsstaat nach dem Fremdvergleichsgrundsatz weiterbelasteten Kosten wird hingewiesen (s. Tz. 4.3.3.3.3, Rn. 167).
4.3.3.3.3
Von einem Arbeitgeber getragene oder zu tragende Vergütungen
165
Die Übernahme der Kosten für eine Arbeitnehmerentsendung muss dem Fremdvergleichsgrundsatz (BMF-Schreiben vom 6. Juni 2023, Kapitel III A, BStBl I S. 1093) entsprechen. Die Kosten sind nach dem Fremdvergleichsgrundsatz von dem Unternehmen zu tragen, in dessen Interesse die Entsendung erfolgt (s. Tz. 4.3.3.3.2, Rn. 159 ff.). Hierzu gehören alle Kosten,
- die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit der gesamten Arbeitnehmertätigkeit im Entsendezeitraum stehen und
- die den Gewinn des aufnehmenden oder des entsendenden Unternehmens gemindert haben, unabhängig davon, ob sie zum Lohn des Arbeitnehmers gehören und unabhängig davon, ob sie im Zusammenhang mit der Auslandstätigkeit selbst stehen.
166
Dazu gehören alle Lohn‑ und Lohnnebenkosten sowie Lohnverwaltungskosten wie im Einzelnen z. B.:
- laufender Arbeitslohn,
- Urlaubs‑ und Weihnachtsgeld, Abfindungen, Bonifikationen,
- Zuführungen zu Pensionsrückstellungen,
- Sozialversicherungsbeiträge,
- (Auslands‑)Zulagen,
- Sachbezüge (wie z. B. Aktienvergütungen oder Firmenwagen),
- übernommene Steuerzahlungen,
- Kostenerstattungen für doppelte Haushaltsführung, Schulgeld, Internatskosten etc.,
- Beratungsleistungen, wie z. B. Erstellung der Lohnabrechnungen und Lohnsteueranmeldungen sowie Einkommensteuererklärungen oder sonstige Steuerberatungskosten, Steuerausgleichsberechnungen (s. Tz. 5.5.9, Rn. 317 ff.),
- Beratungsleistungen im Zusammenhang mit sozialversicherungsrechtlichen Fragen etc.,
- Fortbildungskosten sowie Kosten für die Gesundheitsvorsorge,
- sonstige Lohn‑ und Personalverwaltungskosten (Gemeinkosten).
167
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer zu bescheinigen, in welcher Höhe die Kosten nach Rn. 165 und 166 nach dem Fremdvergleichsgrundsatz weiterbelastet wurden und in welcher Höhe diese vom entsendenden Unternehmen getragen wurden. Dabei sind die nach innerstaatlichem Steuerrecht als Arbeitslohn zu behandelnden Vergütungsbestandteile und die sonstigen Lohnkosten gesondert auszuweisen. Dieser Bescheinigung kommt Indizwirkung zu. Es ist widerlegbar zu vermuten, dass die vom Arbeitgeber bescheinigte Zuordnung der Kosten im Einklang mit dem Fremdvergleichsgrundsatz steht. Demzufolge kann i. d. R. davon ausgegangen werden, dass die Tätigkeit ausschließlich im Interesse des aufnehmenden Unternehmens stattfindet, wenn eine Weiterbelastung aller mit der Arbeitnehmerentsendung in Verbindung stehenden Lohn‑, Lohnneben‑ und Lohnverwaltungskosten an das aufnehmende Unternehmen bescheinigt wird. Verbleiben diese Kosten ganz oder teilweise beim entsendenden Unternehmen, wird die Arbeitnehmerentsendung insoweit (auch) im Interesse des entsendenden Unternehmens ausgeführt (s. Tz. 4.3.3.3.4, Rn. 172 ff.).
168
In den Fällen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentsendung ist das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen, das den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt oder nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hätte tragen müssen, zum Steuerabzug verpflichtet (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG). Der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff ist damit auch für Zwecke des Lohnsteuerabzugs zu beachten. Nicht erforderlich ist hierfür, dass das deutsche Unternehmen den Arbeitslohn im eigenen Namen und für eigene Rechnung, beispielsweise aufgrund eigener arbeitsrechtlicher Verpflichtung, auszahlt. Die Lohnsteuerabzugsverpflichtung des inländischen Unternehmens entsteht bereits im Zeitpunkt der Auszahlung des Arbeitslohns an den Arbeitnehmer, insbesondere, wenn es aufgrund einer Vereinbarung mit dem ausländischen, entsendenden Unternehmen mit einer Weiterbelastung rechnen kann (R 38.3 Abs. 5 LStR).
169
Zum Umfang der Abzugsverpflichtung durch das inländische Unternehmen ist darauf hinzuweisen, dass sämtliche Gehaltsbestandteile für im Inland ausgeübte Tätigkeiten – auch die von anderen konzernverbundenen Unternehmen gezahlten Bonuszahlungen oder gewährten Aktienoptionen – grundsätzlich dem inländischen Lohnsteuerabzug unterliegen (§ 38 Abs. 1 Satz 3 EStG).
170
Beispiel 1: Entsendung im Interesse des entsendenden verbundenen Unternehmens
Das ausschließlich in Spanien ansässige Unternehmen S ist die Muttergesellschaft einer multinationalen Unternehmensgruppe. Zu dieser Gruppe gehört auch ein in Deutschland ansässiges Unternehmen D, das Produkte der Gruppe verkauft. Unternehmen S hat eine neue weltweite Marktstrategie für die Produkte der Gruppe entwickelt. Um sicherzustellen, dass diese Strategie von Unternehmen D richtig verstanden und umgesetzt wird, wird X, ein in Spanien ansässiger Angestellter von Unternehmen S, der an der Entwicklung der Marktstrategie mitgearbeitet hat, für vier Monate an den Unternehmenssitz von D entsandt. Das Gehalt von X wird ausschließlich von Unternehmen S getragen.
Lösung:
Unternehmen D ist nicht als wirtschaftlicher Arbeitgeber des Angestellten X anzusehen, da X seine Tätigkeit im alleinigen Interesse von Unternehmen S ausübt. Zudem erfolgt keine Eingliederung in die organisatorischen Strukturen des Unternehmens D. Unternehmen S hat nach dem Fremdvergleichsgrundsatz die Gehaltsaufwendungen des X zu tragen. Das Besteuerungsrecht für die Vergütungen des X wird Spanien zugewiesen (Art. 14 Abs. 2 DBA-Spanien). Deutschland stellt die Vergütungen steuerfrei.
X ist in Deutschland nach innerstaatlichem Recht beschränkt steuerpflichtig, weil die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG). Da Deutschland für den entsprechenden Arbeitslohn nach Art. 14 Abs. 2 DBA-Spanien kein Besteuerungsrecht hat, entsteht insoweit kein deutscher Besteuerungsanspruch.
Unternehmen S ist kein inländischer Arbeitgeber des X i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Unternehmen D ist auch kein inländischer Arbeitgeber des X i. S. des § 38 Abs. 1 EStG, weil es den Arbeitslohn des X wirtschaftlich nicht getragen hat oder nach dem Fremdvergleichsgrundsatz hätte tragen müssen. Da beide Unternehmen zudem keine ausländischen Arbeitnehmerverleiher i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG sind, sind beide auch nicht zum Lohnsteuerabzug nach innerstaatlichem Recht verpflichtet.
171
Beispiel 2: Arbeitnehmerentsendung im Interesse des aufnehmenden Unternehmens
Ein internationaler Hotelkonzern betreibt durch eine Anzahl von Tochtergesellschaften weltweit Hotels. Eine in Spanien ansässige Tochtergesellschaft S betreibt in Spanien ein Hotel. Eine weitere Tochtergesellschaft D der Unternehmensgruppe betreibt ein Hotel in Deutschland. D benötigt für fünf Monate einen Arbeitnehmer mit spanischen Sprachkenntnissen. Aus diesem Grund wird X, ein in Spanien ansässiger Angestellter der Tochtergesellschaft S, zu D entsandt, um während dieser Zeit an der Rezeption im Inland tätig zu sein. Der Angestellte X bleibt während dieser Zeit bei S angestellt und wird auch weiterhin von S bezahlt. Die Tochtergesellschaft D vergütet der Tochtergesellschaft S die Aufwendungen für den Angestellten X nach dem Fremdvergleichsgrundsatz.
Lösung:
Für den Zeitraum der Tätigkeit des Arbeitnehmers X im Inland ist D als wirtschaftlicher Arbeitgeber des X anzusehen. Die Entsendung des X zwischen den international verbundenen Unternehmen erfolgt im alleinigen Interesse des aufnehmenden Unternehmens D. Der Angestellte X ist in dem genannten Zeitraum in den Geschäftsbetrieb von D eingebunden. Infolgedessen trägt D wirtschaftlich die Arbeitsvergütungen nach dem Fremdvergleichsgrundsatz. Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 14 Abs. 2 Buchstabe b DBA-Spanien sind damit nicht gegeben. Obwohl X sich an nicht mehr als 183 Tagen in Deutschland aufhält, wird Deutschland gemäß Art. 14 Abs. 1 DBA-Spanien das Besteuerungsrecht für die Vergütungen des X für den genannten Zeitraum zugewiesen.
Der Angestellte X ist in Deutschland nach innerstaatlichem Recht beschränkt steuerpflichtig, weil die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a EStG).
D ist inländischer Arbeitgeber des X i.S. des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG. D zahlt den Arbeitslohn zwar nicht an X aus, trägt ihn aber wirtschaftlich und ist daher zum Lohnsteuerabzug verpflichtet (R 38.3 Abs. 5 LStR). Der Lohnsteuerabzug für X ist daher von D durchzuführen.
4.3.3.3.4
Entsendendes und aufnehmendes Unternehmen sind Arbeitgeber
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Ist ein Arbeitnehmer sowohl für seinen inländischen zivilrechtlichen Arbeitgeber als auch für ein weiteres im Ausland ansässiges verbundenes Unternehmen tätig (z. B. ein Arbeitnehmer einer deutschen Muttergesellschaft wird abgrenzbar in Spanien und/oder in Deutschland sowohl im Interesse der spanischen aufnehmenden Gesellschaft als auch im Interesse der entsendenden deutschen Gesellschaft tätig), können abkommensrechtlich beide Unternehmen „Arbeitgeber“ des betreffenden Arbeitnehmers sein. Voraussetzung ist, dass nach den vorgenannten Grundsätzen beide Unternehmen für die jeweils anteiligen Vergütungen als Arbeitgeber i. S. des DBA anzusehen sind. Dies kann der Fall sein, wenn sowohl das entsendende als auch das aufnehmende Unternehmen ein Interesse an der Entsendung haben, z. B. weil der Arbeitnehmer Planungs‑, Koordinierungs‑ oder Kontrollfunktionen für das entsendende Unternehmen ausübt. Die Tätigkeiten für das entsendende und für das aufnehmende Unternehmen sind mit ihrer
(zeit‑)anteiligen Vergütung jeweils getrennt zu beurteilen. Auf die Tz. 4.3.3.3.2, Rn. 159 ff. und Tz. 4.3.